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/ Eng lénk Kritik vun der Migratioun

Politik

Eng lénk Kritik vun der Migratioun

Den éisträichesche Journalist Hannes Hofbauer analyséiert a sengem Buch "Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert" (Promedia) den Zesummenhang tëschent Migratioun a globaler Ongläichheet. De Michel Delage huet sech op der Leipziger Buchmesse mam Auteur ënnerhalen.

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5 min

Michel Delage: In Ihrem Buch "Kritik der Migration. Wer gewinnt und wer verliert "(Promedia) gehen Sie eher nicht davon aus, dass Migration an sich eine Quelle des Wohlstands ist...

Hannes Hofbauer: Nein. Es ist eine Quelle des Wohlstands für bestimmte Leute, für bestimmte Kapitalgruppen, für einzelne Migranten, die es schaffen, eventuell sich positiv zu positionieren und vieilleicht auch viel Geld zu machen - das ist diese "vom Tellerwäscher zum Millionär"-Geschichte.

Aber im Großen und Ganzen sind es in erster Linie die Migranten, die Opfer dieser Migration sind, wirtschaftlich und politisch, weil die Rechte diese Opfer zu Tätern macht und damit einen rassistischen Diskurs bedient. Und die Linke verharrt in einer Art Schockstarre und traut sich nicht, das Thema anzugreifen. Ich habe es versucht, indem ich über die Funktion der Migration als Ausdruck weltweiter Ungleichheit ein Buch geschrieben habe.

Das heißt, Sie sind gegen Migration und nicht unbedingt gegen Migranten, was dann die Position der Rechten wäre?

Ich bin überhaupt nicht gegen Migranten und ich kann auch nicht sagen, dass ich insgesamt gegen Migration bin. Ich decke nur die Folgen von Massenmigration auf, beispillsweis von Osteuropa nach Westeuropa in den 1990ern und frühen 2000er Jahren.

Die strukturschwachen Länder in Osteuropa, wie Bulgarien und Rumänien - oder heutzutage Kroatien, das ist genau der selbe Effekt - verlieren ihre Jungen und Flexiblen an die Arbeitsmärkte der Zentralräume. Das ist für diese Länder dramatisch, weil die Menschen, die dort bleiben - die Alten, die Schwachen, die Kranken -, die nicht migrieren, volkswirtschaftlich auch Kosten verursachen, während jene, die die Gesellschaft besonders braucht, die Flexiblen und Jungen, weg gehen.

Das beschreibe ich. Damit bin ich noch immer nicht gegen Migration an sich, aber ich kritisiere den rein positiven Zugang zur Migration, so wie ihn die Vereinten Nationen jetzt definiert haben. Diese Definition beinhaltet, dass Migration nur von der individuellen Seite gesehen wird, während ich es als ökonomische Struktur sehe.

Sind Sie schon mit dem Vorwurf konfrontiert worden, dass Sie mit Ihrer These Wasser auf die Mühlen der Rechten gießen?

Nein. Das war eher so, dass ich die Debatte überhaupt erst öffne und das könnte die Rechte verwenden. Aber die Rechte würde sich nie auf die Funktion der Migration im ökonomischen Sinne konzentrieren. Sie braucht die Migranten um einen Diskurs zu führen, der gegen die gesellschaftlich Schwachen instrumentalisiert wird: die Rechte hetzt gegen ethnische und religiöse Minderheiten, gegen Migranten, gegen Roma... Das ist überhaupt nicht was ich sagen will, sondern ich will Migration als Ausdruck weltweiter Ungleichheit kennzeichnen. Ich will mich mit den dramatischen Auswirkungen für die Herkunftsländer und mittlerweile auch für die Zielländer beschäftigen.

Das hat man zum Beispill mit Großbritannien gesehen, 2004 mit der Massenmigration von Polen, weil den Polen der deutsche, der österreichische, der niederländische, der luxemburgische Arbeitsmarkt verwehrt wurde. Die Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen bei dieser grossen Osterweiterung wurde erst nach sieben Jahren gewährt - mit Ausname von Grossbritannien und Schweden, wo Hundertausende Polen gekommen sind.

Die Folge war, dass die britische Arbeiterschaft einem Konkurrenzdruck gegenüber gestanden ist, der sie skeptisch gemacht hat. Und viele haben dann für den Brexit gestimmt. Das hat lange gedauert, bis sich das dann politisch manifestiert hat. Das sind Folgen, die hätte man von vornherein mit einkalkulieren müssen.

Fundamentalkritik ist eine Sache, andererseits ist man mit einer konkreten Situation konfrontiert. Wenn man die Bedingungen in den jeweiligen Ländern ändern muss, kann das schon eine Weile dauern. Wie geht man denn kurzfristig mit dem Phänomen um?

Ich kann mich auf die Position zurück ziehen, dass meine schreiberische Arbeit eher in der Bewusstseinsbildung über dieses Problem besteht. Natürlich kommt immer wieder die Frage: was soll man jetzt machen?

Ich finde Friedenspolitik ist eine der wesentlichen Voraussetzungen. Die ganz großen Migrationsbewegungen sind in den letzten Jahren durch Kriege ausgelöst worden, die der Westen entweder direkt gemacht hat, wie im Afghanistan oder Irak, oder dass Probleme, die sich wie in Syrien zu Bürgerkriegen entwickelt haben, von Außen noch dynamisiert worden sind.

Legitimiert man weitere Kriege indem man hilft?

Wenn man dieses Bewusstsein zwischen der friedenspolitischen Agenda und der Migration, die dadurch ausgelöst wird, nicht herstellt, wenn man Deutschland einfach am Hindukusch verteidigt, dann ist es klar, dass die Leute dort weg gehen müssen, weil sie nicht unter dem Bombenhagel leben wollen... Dann steht man vor der Situation, dass die Leute letztlich hierher kommen - wenn dann die Lager noch von der UNO nicht entsprechend mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, wie das rundum Syrien der Fall war.

Ich kann mich aber nicht zu dieser Position durchringen - das ist vielleicht eine Schwäche, aber die muss ich einfach eingestehen: wenn wir jetzt diesen Dreiklang zwischen Schießen-Flüchten-Helfen mit dem Helfen zu Ende bringen, dann legitimiert man in gewisser Weise auch wieder das nächste Schießen... Aber es ist eine schwierige Frage, auf die ich auch nicht richtig eine Antwort habe.

Was könnte man konkret noch tun?

Die Europäische Union könnte die über 30 Partnerschaftsabkommen (European Partnership Agreements) mit afrikanischen und karibischen Ländern nicht durchführen. Diese Abkommen gibt es seit 2000. Das sind Freihandelsabkommen, die europäische Unternehmen auf dem afrikanischen Markt besser platzieren. Wie jedes Freihandelsabkommen, das zwischen ungleich starken Volkswirtschaften oder Unternehmungen abgeschlossen wird, hilft es den Starken. Und es hat den Effekt, dass dort Bauern, Fischer, Handwerker der europäischen Konkurrenz zum Opfer fallen. Sie können immer überleben, aber deren Töchter und Söhne müssen weg gehen, weil dort keine Lebensgrundlage mehr ist...

Also keine "Wirtschaftsflüchtlinge" produzieren, die man ohnehin von "politischen" Flüchtlingen unterscheidet?

Ja, Sie haben das auf den Punkt gebracht!