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/ Kann Griechenland jetzt auf eigenen Beinen stehen?

Finanz- und Wirtschaftskrise

Kann Griechenland jetzt auf eigenen Beinen stehen?

Acht Jahre lang ist Griechenland mithilfe internationaler Kredite vor der Staatspleite bewahrt worden, nun soll sich das Land wieder selbst an den Finanzmärkten finanzieren. Im August läuft der letzte Kreditvertrag zwischen Griechenland und seinen Geldgebern ab. Trotzdem glauben vier von fünf Griechen, dass sich für sie nichts ändern wird.

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5 min

Kurz vor dem Mittagessen kocht sich Olga Kontodimou nochmal einen Mokka. Dazu zündet sie eine Zigarette an, obwohl sie schon lange mit dem Rauchen aufgehört haben wollte. Die Rentnerin sitzt zwischen ihren Erinnerungen an bessere Zeiten. Auf der Anrichte neben ihr: Fotos, Porzellanteller und Kristallgläser.

"Das war früher, jetzt ist das alles vorbei. Es kommt kein Besuch mehr, und auch ich telefoniere nur noch mit meinen Freundinnen. Wo soll ich denn hingehen, mit leeren Händen? Und den anderen geht es ebenso."

Olga Kontodimou war Sachbearbeiterin bei der griechischen Tourismusbehörde, ihr inzwischen verstorbener Mann war privater Rechnungsprüfer. Niemals hätte sie erwartet, dass sich im Alter ihr ganzes Leben ums Sparen drehen würde. Ihre Rente beträgt nach mehreren Kürzungen 680 Euro. Davon unterstützt sie auch ihren Sohn, dessen Geschäfte in der Krise nicht gut laufen. Sind dann auch noch die Rechnungen beglichen, bleiben ihr weniger als 200 Euro zum Leben. Das reicht auch in Griechenland nicht.

"Diese Situation schlägt uns aufs Gemüt. In meinem Freundeskreis nehmen alle Beruhigungsmittel und Antidepressiva. Früher waren wir ausgelassen. Jetzt ist uns das Lachen vergangen."

Im Sozialzentrum der Gemeinde Dafni, einem kleinbürgerlichen Athener Stadtteil, keine drei Kilometer von der Akropolis entfernt, kennen sie viele solcher Fälle. 700 Bedürftige sind hier mittlerweile registriert, und anstatt weniger, werden es ständig mehr, sagt die Sozialarbeiterin Nelly Adonaki.

"Wir werden weiter unseren Obulus für ein "besseres Griechenland" entrichten müssen

Es sind gekündigte Verkäufer, Angestellte von Firmen, die pleite gegangen sind, Selbständige, die ihren Betrieb schließen mussten, Rentner, deren Bezüge gekürzt wurden. An ein Ende der Krise, wie es die griechische Regierung und die europäischen Institutionen beschwören, möchte Nelly Adonaki deshalb nicht glauben.

"Unsere Erfahrung, unser Alltag zeigen uns, dass wir dem Memorandum nie entkommen werden. Es wird immer so weitergehen. Mit immer neuen Steuern und Abgaben. Vielleicht werden wir das nicht "Memorandum" nennen, aber wir werden auch weiter unseren Obolus für ein "besseres Griechenland" entrichten müssen."

Teilweise holen sich hier Menschen Hilfe, die bei Gründung vor einigen Jahren selbst noch Spenden vorbeibrachten, fährt Nelly Adonaki fort. Besonders wichtig sei die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten. Seit der Regierungsübernahme von Syriza im Jahr 2015 haben zwar wieder alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem, viele können sich aber den Eigenanteil bei den Medikamenten nicht leisten. Der ist in der Krise von neun auf durchschnittlich 25 Prozent angestiegen. In Einzelfällen beträgt er bis zu 44 Prozent des Medikamentenpreises. Es sind Veränderungen wie diese, die den Menschen das Gefühl geben, sich in einer riesigen Abwärtsspirale zu befinden.

Wir glauben nicht mehr an eine bessere Zukunft. Wir arbeiten einzig und allein, um unseren Steuerverpflichtungen nachzukommen. Für mehr reicht es nicht. Wir versuchen zu überleben. Das ist alles.

Nur drei Prozent der griechischen Haushalte kommen heute problemlos über die Runden und können Geld auf die Seite legen. Das hat eine von der griechischen Handelskammer durchgeführte Studie ergeben. Rund 15 Prozent gaben an, von ihrem Einkommen nicht einmal das Überlebensnotwendige bestreiten zu können, und eine unvorhergesehene Ausgabe von 500 Euro wäre für mehr als die Hälfte aller griechischen Haushalte nur mit großer Mühe zu stemmen.

Viele Griechen zieht es ins Ausland

Dabei sieht es aus, als ob es aufwärts ginge. Die Rating-Agenturen stufen Griechenlands Anleihen sukzessive hoch, und die griechische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr immerhin um magere 1,4 Prozent gewachsen. Doch bei den Menschen kommt das nicht an, und das hat auch mit den Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun: Die meisten neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse sind prekär, darunter viele Teilzeitstellen, entlohnt mit zwei- bis vierhundert Euro im Monat. Über 70% der jungen Griechinnen und Griechen erwägt daher, ins Ausland zu gehen.

Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Stamatis Mylonas ist geblieben und hat es nicht bereut. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern betreibt der Winzer eine Weinkellerei in der Mesogeia-Region vor Athen, einer der ältesten Weingegenden Griechenlands. Die Brüder Mylonas haben den Familienbetrieb vor einigen Jahren von Grund auf erneuert, genauso wie es sich in- und ausländische Ökonomen wünschen. Dafür haben sie kurz vor Ausbruch der Krise einen Kredit aufgenommen. 2009 brach dann alles ein: die Aufträge, die Liquidität der Kunden, die Preise auf dem Markt.

Wir haben zwangsläufig nur sehr vorsichtige Schritte gemacht. Wir wussten ja nie, ob wir am Ende bezahlt werden, und unser Umsatz konnte von einem Tag auf den anderen einbrechen. Nur die Kreditraten, die sind gleich geblieben. Zum Glück haben wir es geschafft, aber es war sehr schwierig. Wir haben jahrelang für weniger Geld gearbeitet als wir unseren Angestellten gezahlt haben.

Solidarität innerhalb kleiner Betriebe

Deren Löhne haben sie nicht gesenkt, obwohl die neue Gesetzgebung das ermöglicht hätte. Viele kleine und mittlere Unternehmen haben in der Krise lieber selbst gespart als ihren langjährigen Angestellten von einem Tag auf den anderen das Einkommen zu streichen. Stamatis Mylonas wusste außerdem, dass das Weingut auf lange Sicht erfolgreich sein würde, und er hat sich nicht getäuscht. Inzwischen haben die Brüder für ihre Weine einige der wichtigsten Auszeichnungen weltweit erhalten. 40 Prozent ihrer Produktion exportieren sie. Den schlechten Ruf der alten griechischen Tavernenweine haben sie hinter sich gelassen. Dafür hat ihnen der Sparkurs Griechenlands neue Probleme beschert.

Wir zahlen unsere gesamte Steuer im Voraus. Also angenommen, ich verkaufe Wein für 1000 Euro, dann muss ich im gleichen Augenblick die Steuer dafür entrichten. Im Großhandel ist es aber leider so, dass wir unsererseits erst nach etwa einem halben Jahr für die Ware bezahlt werden. Das zehrt an unserer Liquidität, außerdem raubt es mir Zeit, weil die Buchhaltung komplizierter geworden ist. Zeit, die ich lieber im Weinberg verbringen würde. Zum vergangenen Jahreswechsel sollte diese Vorauszahlung wieder entfallen, jetzt heißt es, sie bleibt noch ein paar Monate, aber wenn sie mich fragen: eine Steuer, die einmal eingeführt wird, bleibt für immer.