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Sexualität

Sex machina - Zur Zukunft des Begehrens

Was wäre, wenn du mit deinem Sextoy kommunizieren könntest? Was macht der Einzug der Sex-Technologie ins Schlafzimmer mit unserer Sexualität? Fragen, die Sophie Wennerscheid in ihrem Buch "Sex Machina" aufgreift.

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6 min

In seinen Metamorphosen berichtet der römische Dichter Ovid vom frauenfeindlichen König Pygmalion. Dieser König Zyperns, nebenbei noch Bildhauer, flüchtete in die Keuschheit, nachdem er mit ungezügelter und nicht auf einen Partner beschränkten weiblichen Sexualität konfrontiert wurde, dies in Form einiger Prostituierten. Auf Pygmalion wirkte diese Form schamloser Sexualität äußerst abstoßend, sehnte er sich doch nach einer ihm völlig ergebenen Partnerin, mit der er seine Leidenschaft ausleben konnte - und das möglichst enttäuschungs- und frustfrei.

Da keine lebendige Frau diesem Ideal gerecht werden konnte, beschloss er seine eigene Frau zu erschaffen. Diese aus Elfenbein geschnitzte Gefährtin taufte er auf den Namen Galateia - die Milchweiße, und sie war so schön und lebensecht, dass sich Pygmalion umgehend in sie verliebte. Fortan beschenkte, liebkoste und umschwärmte er sie, als sei sie eine lebendige Frau - bis dass Venus, die Göttin der Liebe, Pygmalion schließlich seinen innigsten Wunsch erfüllte, und seine Schöpfung zum Leben erweckte.

Welchen Einfluss hat der Fortschritt auf die Sexualität?

Die Literatur- und Kulturwissenforscherin Sophie Wennerscheid führt diesen Mythos als Paradigma einer, so Wennerscheid, "gewaltigen Männerfantasie" an: "Sie verheißt dem Mann, Gott zu sein, Schöpfer, Angebeteter, Horizont, so unendlich überlegen und gut für das Gegenüber, das scheu die Augen aufschlägt und nichts sieht und nichts sehen will als nur ihn allein, ihn, dem sie alles verdankt" (S. 116).

In ihrem Buch mit dem Titel "Sex Machina" zeichnet Wennerscheid nach, wie sich diese Fantasie u.a. im Bereich der künstlichen Reproduktion, der Sextoy-Industrie oder der Sexrobotik äußert - und wirft dabei die Frage auf, inwiefern der technische Fortschritt die menschliche Sexualität verändert hat und in Zukunft verändern wird. Verschafft uns die eigens dazu designte Maschine nicht eine viel größere sexuelle Befriedigung, als es ein Mensch je könnte? Ersetzt der lebensechte, nach eigenen Vorlieben gestaltete Sexroboter bald den Partner? Warum sich noch mit der frustrierenden Realität begnügen, wenn noch die wildeste Fantasie im virtuellen Raum Wirklichkeit werden kann? Also kurz gefasst: Wie sieht die Zukunft des menschlichen Begehrens aus?

Der neueste Stand der Sex-Technologie

Um diese Fragen zu beantworten unterzieht sich Wennerscheid nicht nur einigen amüsanten Selbstversuchen (etwa im Bereich der Virtual-Reality-Pornographie), sondern bringt den Leser auch auf den neuesten Stand in Sachen Sex-Technologie - von ferngesteuerten Dildos über Kussmaschinen bis hin zur Silikon-Sexpuppe. Am interessantesten wird die Untersuchung allerdings, wenn Wennerscheid Beispiele aus Literatur und Film anführt und dergestalt eine Art Kulturgeschichte der menschlichen Liebesbeziehungen zu künstlichen Dingen und Wesen nachzeichnet. Daran wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um ein aktuelles, den technischen Fortschritt begleitendes Phänomen, sondern um ein altes Thema handelt, das nicht nur bei Ovid, sondern auch bei Shakespeare und E.T.A. Hoffmann angesprochen wird.

Wennerscheid unterstreicht jedoch auch, dass sich die sexuellen und Liebesbeziehungen zwischen Menschen und Maschinen nicht einfach auf das Schema eines vermeintlich männlichen Dominanzwillens wie im Falle Pygmalions reduzieren lassen, dass also mithin alles viel komplizierter ist, als es scheint.

Das menschliche Begehren ist kompliziert

Und es ist kompliziert - eigentlich wie immer, wenn es um das menschliche Begehren geht. Dieses Begehren definiert Wennerscheid, darin Deleuze und Guattari folgend, als den Ausdruck einer produktiven Kraft, als den ständigen Willen, sich auszudehnen, als den Drang, das Andere zu vereinnahmen, ja die Grenzen zwischen dem Ich und dem Anderen aufzuheben. Nun kann dabei nicht nur die Grenze zwischen Mir und dem Anderen verwischt werden, sondern ebenfalls die Grenze zwischen menschlichem und maschinellem Körper, zwischen künstlicher Intelligenz und natürlichem Gegenüber.

In der steigenden Nachfrage nach Sextoys und Pornographie, die immer besser auf das jeweilige Kundenbedürfnis zugeschnitten ist, sieht Wennerscheid einen Hinweis darauf, dass die menschliche Sexualität wesentlich plastisch ist. Sie lässt sich also weder durch Geschlechterstereotypen, noch in die klassische Dichotomie von Natur und Kultur einfangen. Die Stelle des "Anderen" in der sexuellen Begehrensstruktur kann schließlich auch von einer Maschine oder einer künstlichen Intelligenz eingenommen werden. Das ist schließlich auch das Thema des Films "Her" von 2013, in dem sich der Protagonist in ein intelligentes Betriebssystem verliebt. Was ist es eigentlich, was wir am Anderen lieben und begehren? Und kann man dies künstlich produzieren?

Klassische Strukturen werden gesprengt

Schnell wird klar: Die Mensch-Maschinen-Liebe sprengt die klassischen Strukturen, in denen Lust und Sex sonst begriffen werden und führt uns deren Kontingenz deutlich vor Augen. Indem sie die herkömmlichen Geschlechterrollen und Dichotomien hinterfragt, fügt sich diese Ausweitung der Begehrenszone laut Wennerscheid in eine umfassendere Bewegung ein, zu der neben der Loslösung des Sex von seiner Reproduktionsfunktion durch die Anti-Baby-Pille auch die Möglichkeit künstlicher Reproduktion bspw. durch die in vitro-Fertilisation gehören.

Gemeinsam ist alldem der Wille zur Loslösung von einer vermeintlichen Natürlichkeit, die als beengend und den Menschen in seiner Selbstbestimmung einschränkend empfunden wird. Gegen eine vorschnelle, pathologisierende oder gar kulturpessimistische Beurteilung dieses Phänomens plädiert Wennerscheid dafür, es ernst zu nehmen. Das führt zu einer realistischen Einschätzung der Chancen, aber auch der Gefahren dieses "eigenartigen Begehrens" nach dem künstlichen Anderen.

Persönlichkeit gibt es bei der Sex-Technologie (noch) nicht

Denn - so geht aus Wennerscheids Überblick unweigerlich hervor - das emanzipative Potential der künstlichen Liebe ist noch nicht annähernd erschlossen. Zum einen ist die Sex-Technologie weit weniger ausgereift, als es die reißerischen Werbetexte glauben machen könnten. Es lassen sich zwar der Kopf der Puppe bewegen, die Beine spreizen und man kann sogar die Intimsphäre nach persönlichen Präferenzen modellieren - das Gefühl von Lebendigkeit will trotzdem nur bei demjenigen aufkommen, der es mit viel Willen in die Puppe hineinprojiziert. Deren künstliche Intelligenz beschränkt sich darüber hinaus meist auf eine rudimentäre Sprachsoftware, so dass von Robotern eigentlich gar keine Rede sein kann. Zum anderen bedienen sowohl die Puppen als auch die Virtual-Reality-Pornographie weiterhin gängige heteronorme Klischees. Galateia ist also weiterhin nur der weibliche Pornostar mit den bekannten einschlägigen Attributen, der Sex mit der VR-Brille nichts weiter als ein immersiver Pornofilm - und der künstliche Andere ist weiterhin nur ein Objekt in einem meist männlichen Fantasiekonstrukt.

Denn genau hier, nämlich beim Anderen, liegt der Knackpunkt. Zwar kann die intime Beziehung zur Maschine der sexuellen Frustration und sozialen Einsamkeit entgegenwirken, die aus mangelnder menschlicher Intimtät entsteht. Und ebenso kann die virtuelle Pornographie einen legalen Ersatz zu illegaler Prostitution oder gar Kinderpornografie bieten. Solange die Maschine aber nur eine Inkarnation der eigenen sexuellen Vorstellungen und Vorlieben bleibt, solange sie also schlicht als ein Objekt und nicht als ein Subjekt betrachtet wird, solange kann es keine wirkliche erotische Beziehung zwischen Mensch und Maschine geben. Denn zur Erotik bedarf es eines Anderen, der uns in seiner Alterität affiziert. Will man den Fortschritt der Sex-Technologie als Möglichkeit der Erweiterung der menschlichen Sexualität begreifen, muss sich die Darstellung dieser lustvollen Objekte ändern. Dann stellen sich allerdings neue, u.a. auch ethische Fragen, die Wennerscheid in ihrem Buch leider nur anreißt. Man hätte sich diesbezüglich etwas weniger kulturwissenschaftliche Distanz und etwas mehr philosophische Stellungnahme gewünscht. Dennoch empfiehlt sich die Lektüre all denen, die sich die Frage stellen, in welche Richtung sich die menschliche Sexualität entwickeln könnte und welches Potential - und auch politisches Potential - in dieser Entwicklung liegt.

Die Maschine als Anderen ernst zu nehmen, das bedeutet also, sich von ihr affizieren zu lassen - und nicht einfach, sie den eigenen Wunschvorstellungen zu unterwerfen. Es bleibt die Frage, ob sich die Industrie einmal in diese nicht-anthropozentrische Richtung entwickeln wird, oder ob sie weiterhin nur auf die Absatzzahlen achtet.