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Seismograph

Abbrechen

Abbrecher haben in unserer Gesellschaft keinen guten Ruf und der Abbruch ist eher negativ konnotiert ... wie z. B. der Schulabbruch. Dabei sind wir Menschen immer mehr Abbruch als Vollendung.

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3 min

Vom Abbrechen

Kürzlich saß im Kino und sah mir gerade Dune an - sehr sehenswert übrigens. Der Film war beinahe zu Ende, es blieben vielleicht noch 15 min, da sehe ich, wie ein Paar aufsteht und den Saal verlässt. Eine Viertelstunde vor Ende des Films - ich war einfach nur baff.

Sicherlich hatte das Paar einen guten Grund. Darum geht es auch nicht, sondern um meine Reaktion darauf: den Film einfach so abzubrechen erschien mir wie eine totale Vergeudung des Films, der Ruin des Abends. Warum bricht man einen Film ab, so kurz vor dem Ende? Meine Reaktion ist umso erstaunlicher, als ich das durchaus nachvollziehen kann. Die meisten meiner Videospiele habe ich nicht durchgespielt, ich habe weitaus mehr Bücher begonnen als beendet und "Game of Thrones" habe ich zwar sehr gemocht - mir aber nie die letzte Staffel angesehen. Ich habe irgendwann einfach abgebrochen.

Es fühlt sich ungut an, wenn etwas abgebrochen wird - vor allem kurz vor Schluss. Ich würde sogar behaupten, dass unsere Gesellschaft als Ganze allergisch auf Abbrüche reagiert. Denken wir einmal an die angekündigte Erhöhung der Schulpflicht auf 18 Jahre: hier soll dem verfrühten Schulabbruch entgegengewirkt werden. Das Wort "Schulabbruch" weckt ja schon die schlimmsten Assoziationen. Dasselbe gilt für Beziehungen: entgegen dem Mantra von der heutigen Wegwerfgesellschaft glaube ich nämlich, dass die meisten Menschen auf Teufel komm raus an ihren Beziehungen festhalten ... auch wenn längst klar ist, dass es nicht mehr läuft. Ghosting - also das abrupte Abbrechen von Kontakt - ist ebenfalls ziemlich verpönt. So kleben wir an Freundschaften, die keine mehr sind, anstatt sie einfach abzubrechen. Man denkt sich: ich will das Ganze aber noch zu einem guten Ende bringen, wie man so schön sagt. Aber man muss sich fragen: wie sieht eigentlich ein solches gutes Ende aus? Wie dem auch sei: Abbrecher haben heutzutage keinen guten Ruf und der Abbruch ist tendenziell eher negativ konnotiert.

Zwei Formen von Ende

Dabei ist der Abbruch auch nur eine mögliche Form des Endes - und eben das ist der Kern der Sache. Man muss grundsätzlich zwischen zwei Formen des Endes unterscheiden. Einerseits eben das Ende als Abbruch, das wir mit Unglück, Scheitern und Versagen gleichsetzen, wie im Wort "Studienabbruch". Demgegenüber steht das Ende im Sinne des Zu-Ende-Bringens, der Vollendung. Mit diesem Begriff verbinden wir Gelingen, Leistung und Erfolg. Wenn jemand etwas zu Ende bringt, hat er sich ein Ziel gesetzt, es erreicht und etwas getan dafür. Das gilt allgemein als respektabel und erstrebenswert.

Nun ist unser Leben allerdings immer mehr Abbruch als Vollendung, immer mehr Aufhören als Erreichen - ja man könnte sagen, dass unser Leben immer unter dem Zeichen des möglichen Abbruchs steht. Schließlich sind wir Menschen sterblich, unser Leben ist kurz und kann jederzeit einfach aufhören und abbrechen. All die Ziele, die wir uns setzen und versuchen zu erreichen, all das kann auf einmal nichtig werden. Das ist ebenso sicher wie unvorstellbar - ja es ist geradezu bemerkenswert, wie aggressiv wir diesen simplen Fakt aus unserem Bewusstsein verdrängen. Das hat sicherlich auch mit unseren Wünschen, Träumen und Begierden zu tun, also mit allem, was uns antreibt. Denn unser Wollen ist ja unendlich - und der wollende Mensch ist deshalb auch virtuell unsterblich.

Wir wollen also etwas, das wir vielleicht gar nicht können, weil wir nicht wissen, wie lange wir überhaupt noch dürfen. Vielleicht ist der Abbruch in unserer Gesellschaft ja so negativ konnotiert, weil er uns unsere eigene Sterblichkeit ins Gedächtnis ruft, weil er veranschaulicht, dass auch wir jederzeit zu "Abbrechern" werden können. Und zum Glück ist das so, denn wenn wir ewig Zeit hätten, wenn nichts abgebrochen würde, könnten wir auch nichts beenden, weil wir dann auch keine Zeit verschwenden würden - es wäre einfach gleichgültig.