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Arbeitsroutinen

Mit Routine verbinden wir meist Trott und Automatismen. Sie kann aber etwas anderes sein, nämlich die Ökonomie der wichtigsten Ressource, über die wir verfügen: unsere Lebenszeit.

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3 min

Der Philosophe Lukas Held. Foto: Archiv

Simon Larosche: Heute geht es bei dir um das Thema Arbeitsroutinen. Klingt...spannend?

Lukas Held: Ja Routinen haben keinen guten Ruf. Man verbindet mit ihnen Trott, Monotonie und Automatismus - Autopilot eben. Von einem kognitiven Standpunkt aus gesehen ist dieser Autopilot extrem wichtig, denn die Automatismen nehmen dem Gehirn fast die Hälfte aller Entscheidungen ab. Ohne sie wären wir kognitiv total überfordert und hätten keine Aufmerksamkeit für die wichtigen Dinge.

Wenn ich bewusst darüber nachdenken müsste, wo sich mein Kaffeepulver, meine Tasse und die Kaffeemaschine befindet, hätte ich keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was ich in einer Stunde im Meeting sagen will.

Ja, aber Routine bedeutet ja nicht nur unbewusste Automatismen.

Eben. Als Routine könnte man auch eine Art Gewohnheit bezeichnen, z.B. die Art und Weise, wie ich meinen Tag strukturiere. Aber auch mit der Gewohnheit verbinden wir eher Negatives; Gewohnheit ist geistlos, repetitiv und alltäglich. Das Gegenteil der Gewohnheit ist das Neue, das Aufregende, das Überraschende - also all das, was das Leben spannend macht.

Über Gewohnheiten denkt man auch nicht lange nach, sie sind der tote Winkel unseres Lebens - und ähneln darin den Instinkten. Mit dem wichtigen Unterschied, dass man Instinkte nicht beherrschen kann, Gewohnheiten aber immer von uns selbst geformt werden. Das kann gut ausgehen, oder als schlechte Angewohnheit enden, von der man sich einfach nicht lösen kann.

Bleiben wir vielleicht mal bei den guten Angewohnheiten.

Und damit wäre ich wieder bei der Arbeitsroutine. Mich hat schon immer fasziniert, wie große Denker ihren Tag organisierten. Denn Routine kann auch das sein: die Kanalisierung von kreativer Energie bzw. die Ökonomie der wichtigsten Ressource, über die wir Menschen verfügen - nämlich unsere Lebenszeit.

Ich muss bei dem Thema immer an den Philosophen Hans Blumenberg denken. Dem 1920 geborenen Blumenberg war es nämlich als sogenanntem "Halbjuden" zur Zeit des NS-Regimes untersagt, ein Studium aufzunehmen. Die durch diesen Umstand verlorene Zeit versuchte er nach Kriegsende dadurch aufzuholen, dass er sich pro Woche nur sechs Nächte Schlaf gönnte und seine ganze Arbeitszeit in die Nacht verlegte.

Die klassische Arbeitsnacht begann in den frühen Abendstunden und endete gegen sieben Uhr morgens mit der Zeitungslektüre. Jean-Paul Sartre hingegen arbeitete mit der Pünktlichkeit eines Beamten: 3 Stunden morgens, 3 Stunden nachmittags. Karl Marx saß jeden Tag in der Bibliothek des British Museum, von neun Uhr morgens bis sieben Uhr abends - um dann nach Hause zu gehen und dort bis spät nachts weiter zu arbeiten.

René Descartes hingegen war ein notorischer Langschläfer, der nicht vor 11h das Bett verließ - und das nach mindestens 10 Stunden Schlaf. Als er dann an den Hof der Königin Christina von Schweden auf den Posten des privaten Hauslehrers berufen wurde, war es vorbei mit diesem Rhythmus. Descartes starb nach nur einem Monat.

Man sollte in diese Anekdötchen nicht allzu viel hinein interpretieren. Wichtig ist zu erkennen, dass Wiederholung nicht unbedingt etwas Schlechtes ist, sondern ein wesentlicher Teil unserer Lebensgestaltung werden kann. Gewohnheiten geben uns Sicherheit, wobei sie uns immer auch einschränken.

Aber während die schlechte Gewohnheit wie eine Kette ist, die mich zurückhält, ist die produktive Gewohnheit wie ein Seil, das mich absichert, mit dem ich mich aber auch hochziehen kann. Die eine ist ein blinder Instinkt, der sich selbst genügt, die andere hingegen eine bewusste Technik ist, die dem Geist einen Rahmen gibt.