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Seismograph

Der alkoholfreie Monat

Wenn jede Veränderung als ein "Challenge", als eine Herausforderung charakterisiert wird, vermittelt dies den Eindruck, dass es dazu besonderer Überwindungskraft und Willensstärke bedarf, dass man sozusagen in einen anderen Seinsmodus wechseln muss, um etwas ändern. Wenn Veränderung zum "Challenge" wird, wird ihr Gegenteil, also die Nicht-Veränderung und das Stehenbleiben zum Status quo erklärt.

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4 min

Der Philosophe Lukas Held. Foto: Archiv

Simon Larosche: Bei dir geht es heute um den alkoholfreien Monat.

Lukas Held: Luxembourg hat jetzt endlich auch sein Äquivalent zur belgischen "Tournée minérale", nämlich die sogenannte "Sober-Buddy-Challenge". In beiden Fällen geht es darum, während eines Monats auf Alkohol zu verzichten.

Weil geteiltes Leid halbes Leid ist, ist man dazu aufgerufen, sich einen "Buddy" zu suchen, mit dem man dann zusammen nicht Trinken kann. Und weil wir im 21. Jahrhundert leben gibt's dafür auch die passende App, die einen auf dem steinigen Weg weiter anspornt, zum Beispiel mit einem Badge-System.

Simon, wenn du dich wie ich jetzt fragst, was das bringen soll, dann informiert dich die Website der Challenge glücklicherweise auch darüber. Ich zitiere einmal die acht Gründe, weshalb man laut Organisatoren an dieser Challenge teilnehmen sollte: seiner Leber eine Auszeit gönnen, keinen Hangover mehr haben, besser schlafen, Geld sparen, Gewicht verlieren, mehr Energie und schönere Haut haben, gesünder leben. Kurz gesagt: nach diesem Monat ist man ein besserer und schönerer Mensch.

Ich höre da heraus, dass du der Challenge gegenüber etwas kritisch bist...

Ja ziemlich, und es fängt schon beim blöden "Challenge"-Gelaber an. Wenn man heute seine Gewohnheiten ändert, dann ändert man nicht einfach etwas, nein, man challengt sich selbst.

Dieses megalomane Vokabular bewirkt meiner Meinung nach das Gegenteil dessen, was es intendiert. Wenn nämlich jede Veränderung als ein Challenge, als eine Herausforderung charakterisiert wird, vermittelt dies den Eindruck, dass es dazu besonderer Überwindungskraft und Willensstärke bedarf, dass man sozusagen in einen anderen Seinsmodus wechseln muss, um etwas ändern.

Veränderung ist allerdings ein organischer Teil unseres komplexen Lebens, ja Veränderung ist eigentlich immer schon da und begleitet unser Leben. Wenn Veränderung aber zum Challenge wird, wird ihr Gegenteil, also die Nicht-Veränderung und das Stehenbleiben zum Status quo erklärt.

Ja aber abgesehen vom Vokabular ist es doch nicht so schlecht, gesund zu leben, oder?

Naja, wenn ich die Auflistung all dieser Vorteile lese, stelle ich mir immer nur die Frage: wozu? Wozu weniger Geld ausgeben, wozu schönere Haut, wozu mehr Energie? Es ist erstaunlich, dass all diese Charakteristika - und insbesondere die Gesundheit - einfach zum Selbstzweck erklärt worden sind.

Das ist insofern verdächtig, als in unserer Gesellschaft beinahe alles unter dem Zeichen der Nützlichkeit steht. So zum Beispiel in der Bildungslandschaft, in der die Spezialisierung der SchülerInnen seit Jahren das A und O ist und Allgemeinbildung eher nebensächlich zu sein scheint. Soviel Ideologiekritik sei mir an dieser Stelle gestattet: wenn in unserer Nützlichkeitsgesellschaft etwas zum Selbstzweck erkoren wird, dann handelt es sich dabei mit Sicherheit um das Wichtigste aller Mittel.

Und wofür ist gesunder, energischer, schöner Körper das Mittel? Was ist der Zweck dahinter?

Ja diese Frage muss man sich tatsächlich stellen. So wie ich es sehe ist der Zweck schlicht der, zu funktionieren und zu produzieren. Und als Outcome sicherlich auch der, zu konsumieren.

Man muss sich zudem die Frage stellen, um welche Form der Gesundheit es bei all dem eigentlich geht. Klassischerweise bedeutet Gesundheit ja die Abwesenheit von Krankheit. Das heißt sie ist uns solange verborgen, bis sie als etwas Abwesendes auftritt. Und wenn die Krankheit verschwindet, dann vergessen wir auch wieder, dass wir gesund sind.

Eben dieses Vergessen wird uns heute erschwert. Heute wird man nämlich penetrant daran erinnert, dass man gesund ist, ja dass man vielleicht sogar noch gesünder werden könnte. Die Sorge um die Gesundheit verrät sich selbst als ideologisch, denn nicht um die Gesundheit, sondern um die Krankheit muss man sich sorgen.

Worauf willst du damit hinaus?

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen", schrieb Theodor Adorno einmal, nämlich in seinem bekannten Werk Minima moralia. Und ganz genau darum, um dieses falsche Leben, geht es eigentlich: grundsätzlich Richtiges wird nichtig, weil es im Falschen getan wird.

Die Macher der Sober-Buddy-Challenge haben sicherlich edle Ziele, die jedoch ihren Wert verlieren angesichts des Kontexts, in den sie sich einschreiben. Es gibt kein gesundes Leben im Ungesunden, es gibt keine Sorge um die Mitmenschen in einer Welt, in der man sich per App gegenseitig überwachen kann. Anders gesagt: es gibt eigentlich keine Gesundheit dort, wo man gesünder werden sollte.