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Seimsograph

Sollten alte Menschen noch wählen dürfen?

Sollten alte Menschen noch wählen dürfen? Die Frage wirkt natürlich etwas schockierend, man denkt an Entmündigung, an Agism, an Diskriminierung - es stehen jedoch durchaus berechtigte Sorgen dahinter. Zum Beispiel die Einschätzung, dass sich ältere Menschen weniger für die Probleme der Zukunft interessieren, als junge Menschen - insbesondere für die Klimaproblematik. Oder dass ältere Menschen sensibel sind für kurzfristige Lösungen für sie ganz direkt betreffende Probleme ... weshalb sie eben aus dieser Logik heraus oft rechts oder extrem rechts wählen.

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3 min

Einmal karikatural gesprochen: Opa und Oma im bezahlten Häuschen in der Provence wählen Le Pen, weil sie Angst vor Immigranten haben - mit deren Existenz sie im Gegensatz zum Enkel in Paris, der Mélenchon wählt, aber nie konfrontiert sind. Oder sie stimmen für Macrons Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre - und sind selbst schon jahrelang in Rente. Oder sie applaudieren der rechtsextremen Null-Einwanderungspolitik - ohne deren Ursachen und langfristige Folgen wirklich einzusehen. Die Konsequenzen einer rechten oder sogar rechtsextremen Politik müssen die jungen Leute stärker tragen als die älteren - natürlich auch weil deren Lebenserwartung niedriger ist. Um es mit dem französischen Rapper Orelsan zu sagen: " Mamie vote Marine, elle a 3 ans à vivre".

Aber: ist das nicht etwas karikatural? Nun, teils teils. Wenn man sich die Zahlen ansieht, so sieht man doch eine Tendenz der älteren Generationen zu rechten und rechtsextremen KandidatInnen. 40 Prozent der über 65-Jährigen wählte Macron und 13 Prozent von ihnen Le Pen. Es stimmt auch, dass die Prioritäten der älteren Generationen nicht bei Themen wie Klimakrise oder soziale Ungleichheit liegen, sondern eher bei Sicherheit, Kriminalität und Kaufkraft. Aber man muss auch beachten, dass 32 Prozent der unter 35-Jährigen im ersten Wahlgang für Le Pen gestimmt haben - also sollte man sich vor einer Karikatur des jungen Wählers hüten. Man muss eh sehr vorsichtig umgehen mit Kategorien wie "alt" und "jung". Es geht hier weniger um das Alter - das ja, wie man so schön sagt "but a number" ist, sondern eher um Generationen. Generation ist nämlich ein dynamischerer Begriff als Alter, weil mit der Idee der Generation auch die Idee des Erbes mitgedacht wird. Und genau darum geht es bei der Frage nach der Begrenzung des Wahlrechts für Ältere: gibt es eine Bereitschaft der vorgängigen Generation, die Interessen und Probleme der Nachkommen-Generation zu berücksichtigen? Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass man von vielen politischen Entscheidungen weniger betroffen ist mit 80 Jahren als mit 20? Was innerhalb einer Familie selbstverständlich erscheint - dass man seine Interessen auf die der Nachkommen ausrichtet - ist offensichtlich auf einem gesamtgesellschaftlichen Niveau nicht selbstverständlich. Da denkt man zunächst einmal an die eigenen Interessen...

Wie steht es um den intergenerationellen Diskurs?

Ich denke, dass viele junge Leute sich von den älteren Generationen nicht berücksichtigt und ernstgenommen fühlen. Und es zeigt auch, dass es bei dieser Diskussion gar nicht vorsätzlich um Entmündigung der Alten oder Vorurteile geht. Denn man muss bedenken, dass die Alten von heute die 68er von damals sind. Es ist völlig falsch zu glauben, dass alte Menschen kein politisches Bewusstsein haben und sich nicht in der Gesellschaft engagieren - ein Blick in die Gemeinderäte und die meisten Asbl. genügt um zu sehen, dass sich hier vornehmlich ältere Menschen mit mehr Zeit engagieren. Und es ist - das muss man deutlich sagen - sowieso immer schwierig zu pauschalisieren: viele alte Menschen haben ein Bewusstsein für die Klimaproblematik, auch mit Blick auf die eigenen Enkel. Und dennoch steht die Frage im Raum: beziehen die Wähler über 35 die Interessen der unter 35-Jährigen in ihrer Wahl mit ein? Und vice-versa? Wie steht es um den intergenerationellen Diskurs?

Für eine deutlichere Stimme der jungen Generation

Also: sollen alte Menschen wählen dürfen. Um dir ganz direkt zu antworten: ja! Ich denke, dass sonst eines der wichtigsten demokratischen Grundprinzipien dadurch verletzt würde, nämlich dass alle Menschen das gleiche Stimmrecht haben. Ein Mensch, eine Stimme. Denn sonst könnte man ja neben dem Alter auch noch anderen Kriterien anführen, wie zum Beispiel ob man einen Schulabschluss hat oder ob man eine Arbeit hat. Diesen Weg sollten wir nicht gehen. Ich finde dennoch, dass die Interessen der älteren Generation bei den Wahlen überrepräsentiert sind - einfach auch, weil unsere Gesellschaft älter wird. Um das auszubalancieren sollte man ein Wahlrecht ab 16 Jahre einführen. Ich habe aktualitätsbedingt jetzt die ganze Zeit von Frankreich gesprochen, aber dasselbe gilt auch für Luxemburg. Ein Wahlrecht ab 16 Jahre, eine Wahlpflicht ab 18 - für eine deutlichere Stimme der jungen Generation. Nicht, um sich gegenseitig anzubrüllen oder den anderen zu übertönen, sondern um in Kommunikation zu treten mit den anderen Generationen, auf Augenhöhe und mit Blick auf eine gemeinsame Zukunft.