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/ Study the historian before you study the facts

Zäithistoriker

Study the historian before you study the facts

Fir den Zäithistoriker geet et haut ëm "Study the historian before you study the facts", een Fuerschungsseminaire op der Uni Lëtzebuerg zu der Familljegeschicht. Detailer vum Christoph Brüll an Andreas Fickers.

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3 min

In seiner 1961 erschienenen Studie "What is history?" stellte der britische Historiker Edward H. Carr die Frage nach den biografischen Prägungen von Historikerinnen und Historikern beim Umgang mit "Fakten". Auch wenn die Geschichte sich schon lange vom Objektivitätspostulat, das ihr den Weg an die staatlichen Universitäten des 19. Jahrhundert geebnet hat, verabschiedet hat, und heute alle Geschichtsstudierenden wissen, dass historisches Wissen niemals neutral ist, bleiben die meisten Forscherinnen und Forscher sehr zurückhaltend, was die Darstellung ihrer eigenen Standortgebundenheit angeht. Inwieweit beeinflussen biografische Erfahrungen und die eigene familiäre Vergangenheit die Analysen von Historikerinnen und Historikern?

Das inhärente "Dilemma" darf nicht versteckt werden

Die konkrete Behandlung dieser eher geschichtstheoretischen Fragen war während drei Semestern Gegenstand eines Forschungsseminars für Masterstudierende im Fach Geschichte an der Universität Luxemburg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren aufgefordert, die Biografie eines Familienmitglieds zu erforschen. Ziel war es, die Spannung zwischen wissenschaftlicher Forschungsarbeit und emotionaler Bindung zur Familiengeschichte am eigenen Leib zu erfahren und zu problematisieren. Diese Spannung zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungsarbeit, d.h. zwischen dem Ziel, Mythen und Legenden wissenschaftlich zu "dekonstruieren", und der Kraft der intergenerationellen Konstruktion von Familienerzählungen, ist kennzeichnend für die anspruchsvolle Aufgabe, sich Familiengeschichte zu nähern. Das inhärente "Dilemma" darf eben nicht versteckt werden, sondern muss im Sinne selbstreflexiver Hermeneutik explizit gemacht werden: die emotionale und die intellektuelle Auseinandersetzung sollten Teil der Darstellung der erforschten Biografie sein.

Eine erstaunliche Diversität

Die Studierenden mussten dafür die Methoden der historischen Biografieforschung kennenlernen und über Kontinuitäten und Brüche in Lebensgeschichten nachdenken. Dazu kamen Überlegungen zu den Strategien und Formen biografischen Erzählens, zur Konfrontation von offiziellen Quellen und Ego-Dokumenten sowie zum Verhältnis von fiktionaler und faktenbasierter Erzählung. Schließlich ging es darum, ein Format für die Darstellung der erforschten Biografie zu finden. Die Ergebnisse des Seminars sind nunmehr auf einer Webseite zu finden. Die präsentierten Biografien zeigen eine erstaunliche Diversität von individuellen Lebensgeschichten, die in Europa, Afrika und Nordamerika verortet waren: Geschichten von Kriegs- und Nachkriegserfahrungen in Luxemburg aber auch vom Bürgerkrieg auf dem Balkan, Geschichten von Migration nach Luxemburg aus vielen Teilen der Welt, aber auch Geschichten von persönlichem Scheitern und Erfolg.

Entdecken Sie selbst!

Nicht alle Biografien sind vollkommen unbekannt. So kommen mit Jean Wolter und Philippe Schneider auch bekannte Politiker oder Dokumentarfilmer vor. Aber alle biografischen Annäherungen der Studierenden zeigen in mikrohistorischen Ausschnitten, wie eng "große" Geschichte und persönliche Lebenswege verflochten sind und weltpolitische Ereignisse, aber auch ökonomische oder familiäre Umstände entsprechende Spuren oder Weichenstellungen im Leben der untersuchten Akteure hinterlassen bzw. initiiert haben. Die Darstellungen in Form von Storymaps, Podcasts, Videos und journalistischer Reportage demonstrieren, dass die Darstellung von Geschichte auch im akademischen Raum nicht mehr nur auf Geschriebenes setzt, sondern von der kreativen Auseinandersetzung mit neuen Formen und Formaten profitiert. Entdecken Sie selbst!