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Fräie Mikro

Wie Gebäudeabrisse unsere Gesellschaft ruinieren

Mehr als die Hälfte unseres Mülls stammt aus dem Baubereich. Und: Acht Prozent des weltweiten CO 2-Ausstoßes werden allein durch die Herstellung von Zement verursacht. Wenn wir also Klimaschutz und Umweltschutz wollen, muss eines dringend aufhören: Der Abriss unserer historischen Bausubstanz.

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3 min

Jochen Zenthöfer ist freier Journalist. Foto: Archiv.

Darin sind sich Umweltschützer und Denkmalschützer in Luxemburg einig. Überhaupt ziehen beide oft an einem Strang. Umweltschützer erhalten die natürliche Umwelt, Denkmalschützer erhalten die bebaute Umwelt.

In den vergangenen Jahren gab es zwischen beiden Gruppen auch mal Konflikte. Grund war die Außendämmung von Gebäuden. Hier hat sich nun aber herumgesprochen, dass viele Formen dieser Außendämmung äußerst schädlich sind - für die Häuser, den Wert der Häuser und auch für die Umwelt. Besser ist es, die Heizung zu modernisieren oder Dach und Keller von innen zu dämmen.

Gebäude erhalten ...

Heute sind sich Umweltschützer und Denkmalschützer noch in einem anderen Punkt einig. Gebäude sollten, wenn möglich, erhalten bleiben. In bestehenden Häusern steckt eine enorme Menge an Energie. Man nennt diese Energie die "graue Energie". Damit sind gemeint:

  1. Die Erstellungsenergie, mit der das Haus gebaut wurde.
  2. Die Abrissenergie
  3. Die Entsorgungsenergie des abgerissenen Schutts.

Nimmt man all das zusammen, ist ein Neubau oft mit Energieverlusten verbunden. Wer also Energie sparen will, muss Häuser erhalten.

... anstatt zu bauen

Was müsste man also tun? Vor jeder Abrissgenehmigung müsste eine Analyse des Gebäudes erstellt werden, die dessen graue Energie und den CO 2-Ausstoß für Abriss und Neubau berücksichtigt. So wie es in der Schweiz schon Standard ist. Wir müssen beim Bauen die tatsächliche Ökobilanz betrachten.

In Luxemburg heißt es oft, wir müssten bauen, bauen, bauen. Tatsächlich müssen wir vor allem: Erhalten, erhalten, erhalten. Das ist billiger, umweltfreundlicher, klimafreundlicher, häuserfreundlicher und menschenfreundlicher.

Wohin gehört der Mensch?

Wieso ist es "menschenfreundlicher"? Schon Anthropologen wie Émile Durkheim sind bei ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Fortschritt eine immense Achillesferse hat: die dauernde Transformation, das Wegfegen des Alten, übt einen immensen Druck auf Menschen aus. Sie finden sich in der Welt nicht mehr zurecht.

Der liberale Traum bietet nur eine schwache Identität. Er sagt Menschen nicht klar, wer sie sind und wo sie hingehören. Im Englischen ist diese Schwäche gut in dem Gegensatz zwischen "a sense of place" und "a sense of space" ausgedrückt. Der liberale Traum vermittelt einen sense of space, ein Gefühl, den Raum um sich herum beherrschen und erobern zu können, aber er kann nur einen oberflächlichen sense of place anbieten, das Gefühl, irgendwo dazuzugehören, an einem Ort zu Hause zu sein.

Viele Luxemburger lieben ihre Stadt, ihr Dorf, ihre Gemeinde. Was wir dort tagtäglich abreißen lassen, schmerzt sie sehr. Wir müssen damit aufhören. Das fordern Umweltschützer, Denkmalschützer und Menschenschützer zu Recht.


Mam Zil, déi ëffentlech Debatt ze fërderen, invitéiert de radio 100,7 am Fräie Mikro Leit aus der Zivilgesellschaft fir aktuell Themen ze kommentéieren. De Fräie Mikro spigelt reng d'Meenung vu sengem Auteur erëm.