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/ "Das Geheimnisvollste ist die Wahl der Filme"

Luxfilmfest

"Das Geheimnisvollste ist die Wahl der Filme"

Den däitsche Realisateur Volker Schlöndorff gouf um Luxembourg City Film Festival fir säi Liewenswierk ausgezeechent. Hien huet sech ënnert anerem en Numm gemaacht mat senge Literaturverfilmungen, ënnert anerem vum Böll, Musil, Brecht, a Kleist. Fir seng Verfilmung vum Günter Grass senger Blechtrommel 1979 krut hien d'Palme d'Or zu Cannes an den Oscar fir de beschte friemsproochege Film. 2004 hat de Schlöndorff mat "Der neunte Tag", dem Lëtzebuerger Paschtouer Jean Bernard seng Erfarungen am Konzentratiounslager zu Dachau fir de groussen Ecran adaptéiert.

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5 min

Michel Delage: Mitte der 70er Jahre haben Sie die "Verlorene Ehre der Katharina Blum", eine Heinrich Böll-Verfilmung, gedreht. Damals war es eine spannungsgeladene Zeit. Der Film und Ihr Engagement zugunsten der politischen Gefangenen hatte damals Polemiken ausgelöst. Heutzutage ist wieder eine spannungsgeladene Zeit. Würden Sie Parallelen zu dieser Zeit ziehen?

Volker Schlöndorff: Ja, mit dem Unterschied, dass wir damals politisch sehr polarisiert waren. Das war sehr überschaubar und heute sind die politischen Optionen so unklar. Ich habe letzte Woche vor der russischen Botschaft in Berlin demonstriert gegen die Bombardierung in Syrien. Wir waren vielleicht 80 oder 120 Leute. Da wären in den 70er Jahren ein paar Tausende gewesen. Das heißt aber nicht, dass heute keiner mehr interessiert ist an Politik, nur die Meinungsäußerungen laufen auf anderen Wegen. Sie laufen über das Internet. Sie sind nicht mehr so auf der Straße sichtbar. Und ich glaube es ist viel schwerer sich zu orientieren als damals. Man fragt sich überhaupt, ob die Politik nicht fast überflüssig geworden ist. Es stellt sich die Frage, ob die Entwicklung der Gesellschaft, der Industrie und der Wirtschaft eine ganz andere Dynamik hat, wo die Politik immer nur hinterherläuft und nicht mehr Ziele vorgeben kann.

Als Mittdreißiger Regisseur, der Sie damals ja waren, wie würden Sie heutzutage auf die politische Situation reagieren? Welche Stoffe würden Sie da aufgreifen?

Das erste Thema sind natürlich die Flüchtlinge und unser Umgang mit den Flüchtlingen. Das möchte ich heute, als fast 80-Jähriger genau so gerne machen, wie damals als Dreißigjähriger. Die Menschheit, seitdem Sie in Afrika der Homo Sapiens entstand, hat sich ja überhaupt erst durch Völkerwanderungen über den Planeten ausgebreitet. Das heißt, dass wir eigentlich alle ein "peuple migrateur" sind. Wir sind immer in Bewegung. Wir haben uns an so starre nationale Gesellschaften gewöhnt. Unser ganzes Geschichtsbild, wie wir es lernen, mit den Kriegen und einer Nation gegen die andere, und Allianzen: Das ist alles vorbei und aus. Das Spannende an der Globalisierung ist noch nicht mal die wirtschaftliche Globalisierung sondern die politische Globalisierung. Wenn ich mich heute engagiere, dann kann ich mich gar nicht mehr für eine spezielle Partei oder Fraktion einer Partei engagieren. Das ist alles grenzüberschreitend und deshalb sehr viel schwerer, auch für den Film sehr viel schwerer zu packen. Man weiß nicht genau: Wo sind eigentlich die Protagonisten und wer hat überhaupt noch etwas zu sagen? Da denkt man, Merkel ist die mächtigste Frau der Welt, und dann kann Sie nicht mal eine kleine Regierungskoalition zusammenbringen. Also das zeigt ja auch die Ohnmacht der Politik.

Wenn man sich Ihre Filmografie ansieht, dann sieht man, dass Sie als erfahrener Regisseur eher auf historische Themen zurückgegriffen haben. Sie haben zum Beispiel einen Film über einen luxemburgischen Priester im KZ in Dachau gedreht. Ist es so, dass erfahrene Regisseure eher auf historische Langzeitperspektive zurückgreifen, während jüngere sich eher mit der Gegenwart auseinandersetzen?

Ja das kann schon sein. An der Filmschule haben wir mal eine Diskussion mit Studenten gehabt, die haben gesagt: "Ja ihr habt es gut, ihr sprecht immer von eurem Trauma Zweiter Weltkrieg und Nazis. Wir haben kein Trauma." Dann hat ein anderer Student gesagt, doch wir haben alle das gleiche Trauma, die Familie. (lacht) Das ist die eine Antwort. Ich glaube, dass man im Augenblick gar nicht anders kann, als sich mit der Gegenwart auseinander zu setzen. Um die Gegenwart jetzt zu bewältigen, ob Europa auseinander fällt oder nicht, wie die Beziehung mit Amerika ist, wie man diese Bürgerkriege im Vorderen Orient beenden kann. Da gibt es keine Antworten aus der Geschichte. Das kann man nur heute suchen. Eigentlich möchte ich viel lieber auch zeitgenössische Filme machen. Es ist nur, wie Sie schon sagten, auf Grund meiner Erfahrung, dass ich dann immer wieder in der Historie lande.

Wie suchen Sie sich ihre Projekte aus? Sie sind jetzt beinahe 80, sind noch sehr aktiv. Behandeln Sie ein Projekt als sei es möglicherweise Ihr Letztes? Oder wie es gerade kommt?

Nicht wie es gerade kommt. Aber es gibt eine geheime Verbindung. Das Projekt findet einen oft auch. Die Geschichte von Jean Bernard, die hat mich gefunden und ich war sofort begeistert. Ich habe sofort gespürt, das muss ich machen. Manchmal gibt es andere Stoffe, aus dem Privatleben, wie "Die Rückkehr nach Montauk", aus der eigenen Biografie: diese Geschichte will ich unbedingt erzählen. Und dann entdeckt man auf einmal: Das war vielleicht so nahe an mir, dass ich es den anderen Zuschauern gar nicht mitteilen konnte. Deshalb geht man dann beim nächsten Mal, wahrscheinlich nicht wieder auf eine Privatgeschichte, sondern sucht sich wieder eher etwas, was in die Öffentlichkeit weist.

Das Geheimnisvollste ist die Wahl der Filme und wenn ich auf meine Filme zurückblicke, dann habe ich das Gefühl, dass ein gewisser roter Faden vorhanden ist. Im Rückblick sage ich jedoch auch, dass das nie zielgerichtet war. Im Augenblick ist es immer ein Fall nach dem anderen. Ich weiß absolut nicht, was ich als nächstes mache, aber ich weiß ganz genau, dass ich einen nächsten Film machen werde.

Was wird Ihr nächster Film?

Ja eben, ich weiß es nicht.

Der rote Faden, der sich durch ihre Karriere zieht, ist die Verfilmung von Literatur. Haben Sie sich eigentlich nie zugetraut, selbst eine Geschichte ze schreiben, zu erfinden?

Ja das kann man so sehen. Man kann aber auch sagen, dass ich von vorne herein vergiftet worden bis, weil ich zu viel gelesen habe und mich in die Welt von Romanen und Fiktione sehr gerne rein geflüchtet habe. Es ist überschaubarer, wenn man in einem Roman lebt anstatt in der Realität.

Sehen Sie in der zeitgenössischen Literatur, Autoren, dessen Werke man verfilmen könnte?

Ich lese natürlich zeitgenössische Autoren. Nicht immer mit der Absicht einen Stoff zu finden, sondern um meine Zeit im Augenblick zu verstehen. Wo leben wir? Wo gehen wir hin? Wie leben Andere? Zum Beispiel lese ich begeistert Houellebecq, aber ich hätte nie ein Buch von ihm verfilmen wollen.

Sehen Sie im Genre der Literaturverfilmungen andere Regisseure, die das auch machen, oder ist das etwas, das sich verloren hat?

Ich bin manchmal erschrocken, wenn ich mich umschaue und sehe, ich bin der einzige der so systematisch Literatur verfilmt hat. Das war kein Programm, das ist mir so allmählich zugewachsen. Ich habe ja auch andere Sachen versucht, die sind mir dann nicht so gelungen. Irgendwann habe ich mir dann gesagt: "Naja, vielleicht ist es besser, du machst das was du kannst, anstatt das was du möchtest." Aber ich versuche immer wieder auszubrechen. Mein letzter "Rückkehr nach Montauk" war ja eine sehr persönliche Geschichte, ohne Vorlage. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Der Film ist nicht so angekommen, was vielleicht beweist, dass ich eher darin begabt bin, die Geschichte anderer zu erzählen als meine eigenen.