Weniger Erreichbarkeit
"Pony" ist eine Art Messenger vom Stile Whatsapps - also das, was man ja auch einen Instant-Messenger nennt. Nun gibt es von diesen Messenger ja bekanntlich recht viele - einige davon sind sogar verschwörungstheoretisch vorbelastet. Pony sticht dabei aber aus der Masse heraus, weil diese App dem Nutzer nicht mehr, sondern weniger Erreichbarkeit verspricht.
Bei Pony kriegt man alle Nachrichten nur zu einem Moment des Tages, also quasi gebündelt - und das entweder morgens, mittags oder abends (der Nutzer kann das frei auswählen). Anstatt also ständig erreichbar zu sein, wie bei anderen Messenger-Diensten, weißt du als Nutzer dieser App, dass deine Nachrichten nur an einem Moment des Tages gelesen werden.
Die Entwickler gehen davon aus, dass sich mit diesem Wissen eine andere und bessere Form der Kommunikation einstellen - eine bewusstere Kommunikation. Und das sowohl beim Sender wie auch beim Rezipienten: der Sender weiß schließlich, dass er oder sie sich keine direkte Antwort erwarten kann, weil seine oder ihre Nachricht ja nicht direkt gelesen wird.
Das hat natürlich Einfluss auf den Inhalt der Nachricht - und auch auf die Art und Weise, wie die Nachricht rezipiert wird. Denn der Rezipient weiß, dass die Nachricht nicht einfach nur ein dringendes Bedürfnis des Senders befriedigt. Die Nachricht soll tatsächlich gelesen werden. Man schreibt sich keine Nachrichten mehr, die (vermeintlich) eine sofortige Antwort benötigen. Und wenn es wirklich dringend ist, kann man ja auch einfach anrufen!
Konzentrationsbruch
Eigentlich wird hier die ganze Idee von Verfügbarkeit auf den Kopf gestellt. Das finde ich eigentlich recht sympathisch: du bist nicht mehr ständig erreichbar für Kommunikation, sondern die Kommunikation passt sich an deine Erreichbarkeit an. Eben so, wie es im echten Leben ja auch ist. Wenn ich sehe, dass jemand gerade beschäftigt ist, gehe ich ja auch nicht hin und spreche ihn oder sie an. Das wäre schließlich sehr unhöflich - aber für die digitale Kommunikation scheint irgendwie das nicht zu gelten, weil man prinzipiell davon ausgeht, dass das Gegenüber verfügbar ist. Und da man diese Erwartung an andere stellt, muss man ihr selbst auch genügen - und selbst immer potentiell erreichbar sein.
Das hat tatsächlich drastische Konsequenzen für unser Konzentrationsvermögen, da unsere Konzentration eigentlich ständig unterbrochen wird. Und die Konzentration ist etwas sehr fragiles, sie braucht ihre Zeit, bevor sie sich einstellt. Diese ständigen Störungen haben insbesondere auch mit der Technik selbst zu tun, denn das Gerät zwingt uns dazu, erreichbar zu sein. Es ist ja seit langem bekannt, dass Firmen wie Apple, Google und Facebook alles daran setzen, dass wir so lange wie möglich mit ihren Apps beschäftigt bleiben, dass wir soviel Zeit wie möglich am Bildschirm hängen. Und das kriegen sie durch allerlei psychologische Tricks und Manipulationen auch ganz gut hin.
Im Durchschnitt blicken wir jeden Tag rund 88 Mal aufs Handy - nicht, weil wir etwas brauchen oder suchen, sondern weil das Smartphone uns ruft. Deshalb könnte man auch sagen, dass das Smartphone eigentlich gar kein Werkzeug mehr ist, so wie es das Telefon war oder ist.
Ist das Smartphone noch ein Werkzeug?
Ein Werkzeug ist einfach da, und wenn man es braucht, dann benutzt man es - als ein Mittel zum Zweck. "Das Zeugsein des Zeuges besteht in seiner Dienlichkeit". So meinte es zumindest der Philosoph Martin Heidegger. Anders gesagt: Man merkt erst, dass das Werkzeug existiert, wenn man es nicht mehr findet oder wenn es kaputt ist, wenn es eben nicht mehr dienlich ist. Also: Die Existenz des Werkzeugs wird nur in der Abwesenheit bewusst. Beim Smartphone ist es nun eben anders: die Existenz des Smartphones ist einem ständig bewusst, weil es dazu auffordert, benutzt zu werden.
Etwas zugespitzt könnte man sogar sagen: Nicht wir benutzen das Handy, sondern das Handy benutzt uns, um sich selbst am Leben zu halten. Und während man die Existenz eines Werkzeugs am deutlichsten spürt, wenn es fehlt, so spürt man die Existenz des Smartphones am deutlichsten, wenn es sich per Push-Nachrichten ins Bewusstsein schaltet.
Quel soulagement que de n'avoir rien à dire!
Ob Pony nun zu bewussterer digitaler Kommunikation verhilft, bleibt abzuwarten. Aber ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, was ein bewusster Umgang mit digitaler Kommunikation sein soll - und ich denke, dass hier nicht die Kommunikationsmittel in Frage stehen, sondern unser Bedürfnis nach Kommunikation selbst. Wann ist aus der Kommunikation eigentlich ein Selbstzweck geworden? Warum müssen wir ständig kommunizieren, Auskunft geben, uns ausdrücken, etwas mitteilen? Warum brauchen wir das?
Der Philosoph Gilles Deleuze schrieb einmal, dass die herrschenden Mächte die Menschen nicht dazu zwingen, den Mund zu halten, sondern im Gegenteil sie dazu zwingen, sich auszudrücken, ständig und oft unreflektiert. Dabei sollte man den Leuten Momente geben, an denen sie einfach schweigen können, an denen sie einsam und still nachdenken können. "Quel soulagement que de n'avoir rien à dire, le droit de ne rien dire", so Deleuze. Denn nur in diesen Momenten der Ruhe und Stille begreift man, dass es Dinge gibt, von denen es sich wirklich lohnt, sie zu sagen.
Das meiste, was wir sagen und schreiben, muss gar nicht gesagt und geschrieben werden - ob nun per Mail, Whatsapp oder eben Pony. Aber das, was wir eigentlich sagen müssten - das verschweigen wir leider allzu oft.