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/ Der trostbedürftige Mensch

Prisma

Der trostbedürftige Mensch

Der deutsche Philosoph Hans Blumenberg, 1920 in Lübeck geboren, gestorben 1996 bei Münster, gilt als einer der großen Philosophen unserer Gegenwart - und die meisten Leser haben wohl noch nie von ihm gehört. Das hat sicherlich damit zu tun, dass Blumenberg sich zeit seines Lebens ganz bewusst dem Licht der Öffentlichkeit entzog. Lukas Held befasst sich anlässlich des 100. Geburtstags des Philosophen mit Hans Blumenbergs philosophischer Anthropologie - und insbesondere mit dessen Definition des Menschen als eines trostbedürftigen Wesens.

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6 min

Ich fange jetzt mal einfach mal etwas lapidar an, und zwar mit folgendem Statement: Eine der wohl mächtigsten und prägendsten Erfahrungen im Leben eines Menschen ist die der eigenen Sterblichkeit. Ich bin mir sicher, dass ein jeder von uns bereits diese Erfahrung gemacht hat - so z.B. anlässlich eines Unfalls, bei dem man um ein Haar sein Leben gelassen hätte, vielleicht auch nach einer langen und schweren Krankheit, oder vielleicht beim Verlust eines geliebten Menschen.

Wir Menschen sind - allem Anschein zum Trotz - äußerst fragile Wesen und unser Überleben ist keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr das Resultat eines jahrtausendelangen Kampfes gegen eine feindliche und unverfügbare Umwelt. Es ist ihrer Anpassungsfähigkeit einerseits und ihrer Vernunftbegabung andererseits zu verdanken, dass die Spezies homo sapiens sich durchsetzen und das eigene Aussterben abwenden konnte.

Alles könnte anders sein

Nun ist die menschliche Vernunftbegabung allerdings Segen und Fluch zugleich. Sie ist ein Segen, weil sie unser Überleben sichert, und sie ist ein Fluch, weil sie uns Einblick in unsere eigene Kontingenz gewährt. Das muss ich kurz erklären. In der Philosophie bedeutet "Kontingenz" soviel wie Grundlosigkeit, m.a.W. die Einsicht, dass alles immer auch hätte anders oder gar nicht sein können.

Ich hätte auch nicht geboren werden können, bzw. ich hätte genauso gut als jemand anderes auf die Welt kommen können. Jede Entscheidung in meinem Leben lenkt dieses in immer andere Bahnen, ohne dabei nach einem vorgefertigten Plan zu verlaufen oder auf ein festes Ziel hinzudeuten. Alles könnte immer auch anders sein und es gibt keinen Grund, warum die Dinge gerade so sind, wie sie sind.

Wenn aber alles auch immer hätte anders sein können, wo liegt dann der Sinn in dem, was ich gerade tue? Worin liegt die Bedeutung meiner Existenz, wenn ich genau so gut auch nicht hätte existieren können? Und warum existiere gerade ich, so wie bin? Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz brachte diese Erfahrung bereits im 17. Jahrhundert auf den Punkt, als er fragte, warum es eigentlich etwas gibt und nicht nichts - und darauf auch keine richtige Antwort geben konnte.

Das Leben rechtfertigen

Also: der Mensch ist nicht nur ein fragiles Wesen, dessen Existenz nicht selbstverständlich ist, sondern seine Existenz ist obendrein kontingent, also grundlos. Fragilität und Kontingenz sind die Prämissen, von denen ausgehend der Philosoph Hans Blumenberg seine philosophische Anthropologie des schwachen Menschen formulierte.

Blumenberg belässt es nun selbstverständlich nicht bei diesem Befund. Vielmehr interessiert er sich für all die Strategien, die wir Menschen entwickelt haben, um dieser ursprünglichen Kontingenzerfahrung entgegenzuwirken und unsere Mängel zu kompensieren. Wir Menschen können schlichtweg nicht akzeptieren, dass wir ein Stück Natur in gleichem Maße wie der Rest der Natur sind, d.h. einfach grundlos da sind.

Deshalb ist der Mensch für Blumenberg auch das "gewollt sein wollende Wesen". Das bringt das Problem ganz gut auf den Punkt: der Mensch ist das Wesen, das seine eigene Existenz rechtfertigen will. Tatsächlich hat jeder einzelne von uns seine ihm mehr oder weniger bewusste Strategie, um mit der Grundlosigkeit seines Daseins klarzukommen: die einen fühlen sich als Teil einer von einem höheren Wesen geplanten Weltordnung, die anderen stellen ihr Leben in den Dienst anderer Menschen, wieder andere unterwerfen ihr Leben einer Ideologie, oder einem Beruf, oder dem Briefmarkensammeln oder schaffen wieder weitere Menschen, die sich dann ihrerseits die Frage stellen dürfen, warum sie eigentlich existieren, usw. usw.

Es ist letztlich gleichgültig, wie wir unserem Leben den nötigen Sinn geben. Wichtig ist es zu verstehen, dass der Mensch der Kontingenz mit immer eigenen Sinngebungen begegnen und sich sozusagen selbst erfinden muss.

Trost als Mittel zur Bewältigung der Kontingenz

Aber was hat das alles mit dem Trost zu tun? Nun, Blumenberg erkennt in der menschlichen Fähigkeit, zu trösten und sich trösten zu lassen, eine weitere Strategie der Kontingenzbewältigung. Das müssen wir etwas genauer betrachten und uns fragen, was wir eigentlich tun, wenn wir einander trösten.

Wenn ich jemanden tröste, so versuche ich sein Leiden gewissermaßen mit ihm zu teilen, ihm zu vermitteln, dass er oder sie nicht alleine ist in seinem oder ihrem Schmerz. Ebenso, wenn ich mich trösten lasse: es lindert meine Schmerzen zu wissen, dass ich mit meinem Schmerz nicht alleine bin.

Das ist bemerkenswert, denn es setzt voraus, dass sich so etwas wie Schmerz auf andere delegieren lässt. Genau gesehen bringt der Trost aber gar keine Hilfe in dem Sinne, dass man der Ursache des Leidens auf den Grund ginge und das Übel sozusagen bei der Wurzel packe. Nein, wenn ich tröste oder getröstet werde, akzeptiere ich damit immer schon die Unveränderlichkeit der Dinge.

Sowohl der Tröstende als auch der Getröstete akzeptieren, dass das Leben schmerzhaft ist, dass man diesen Schmerz aushalten muss und dass man daran nichts ändern kann. Zu trösten bzw. sich trösten zu lassen wird unter diesem Gesichtspunkt zu einer wirklich erstaunlichen Fähigkeit, die es dem Menschen ermöglicht, mit einer Welt klarzukommen, die eigentlich nichts von ihm wissen will.

Im Trost akzeptiere ich die Realität so wie sie ist, und versuche gleichzeitig mein Leiden auf andere abzuwälzen, indem ich mit-leide, also indem ich so tue, als ob das Leid des anderen mein eigenes Leid sei. Dieses Mitleid nimmt mitunter ganz komische Formen an, bspw. wenn es institutionalisiert wird.

Die extremste Form ist wahrscheinlich die des bezahlten Klageweibs, das sich vor vermeintlicher Verzweiflung in den Staub wirft. Etwas weniger extrem ist unsere standardisierte Mitleidsbekundung, z.B. bei einem Todesfall: natürlich ist mein Beileid, auch wenn es herzlich ist, immer nur begrenzt, denn es kommt niemals an das Leid des Leidenden heran. Ich kann niemals wirklich nachvollziehen, was der andere fühlt, und er kann mir niemals wirklich vermitteln, wie sehr er gerade leidet.

Aber trotz dessen wird das Trösten sehr ernst genommen, weil es beim Trösten eben gar nicht darum geht, sich mit der unerbittlichen Realität des Todes auseinanderzusetzen. Es geht vielmehr darum, diese Realität zu akzeptieren und dann auszublenden. Deshalb sagt Blumenberg auch, der Trost sei die "Vermeidung von Bewußtsein", also der Versuch des Menschen die Wirklichkeit zu umgehen, ihr auszuweichen, sie einfach zu vermeiden. Und eben deshalb ist es das allergrößte Unglück für den Menschen als das, untröstlich zu sein, denn dann bleibt uns nichts anderes als die Realität.

Der Trost ist die Hilfe, die wir Menschen uns gegenseitig geben, wenn uns nicht mehr zu helfen ist. Insofern befähigt uns der Trost dazu, trotzdem zu leben, also trotz der offensichtlichen Tatsache, dass es keinen guten Grund für unser Dasein gibt. Eben deshalb ist das menschliche Trostbedürfnis bzw. die Trostfähigkeit eine so mächtige Instanz in unserem Leben, und viel wichtiger noch als die Suche nach der Wahrheit. Das erklärt auch, warum in unserer der Wissenschaft und der Wahrheit verpflichteten Zeit die Unwahrheit und der Aberglaube boomen. Wahrheit ist nämlich immer eine Zumutung, sie ist kalt, unerbittlich und gleichgültig; und je mehr Wahrheit sich der Mensch zumutet, desto größer wird sein Trostbedürfnis.