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/ Der Wolf in Luxemburg

Natur

Der Wolf in Luxemburg

Seit Anfang April ist es ganz sicher: Das Tier, das im Februar dieses Jahres ein Schaf in Fouren gerissen hat, war ein Wolf. Es ist damit schon das zweite Tier, das nachgewiesenermassen in Luxemburg von einem Wolf getötet wurde. Doch wie gefährlich sind Wölfe wirklich?

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5 min

Das Märchen Rotkäppchen der Gebrüder Grimm ist nur ein Beispiel dafür, dass der Wolf seit Jahrhunderten in Sagen und Fabeln schlecht wegkommt. Ob es um den Wolf und die sieben Geisslein geht oder Werwölfe in jeder Form: Menschen haben Angst vor Wölfen. Aber ist diese Angst berechtigt? Dazu der Biologe und stellvertretende Direktor der Luxemburger Naturverwaltung, Laurent Schley:

"Wenn uns hier ein Wolf begegnete, könnten wir wahrscheinlich nicht viel machen. Er würde sich schneller als wir gucken könnten umdrehen und fortlaufen. Er ist ein wildes Tier, geht den Menschen aus dem Weg und fürchtet sie. Wenn er weit genug weg wäre, so 100 Meter, könnte es sein, dass er kurz stehen bliebe, uns mal anschauen würde, weil sie neugierig sind, aber wenn er näher wäre, würde er direkt fortlaufen. Mensch ist nicht im Beuteschema vom Wolf. Rehe, Wildschweine, Hirsch, Mäuse, Aas... wenn ein Tier gestorben ist oder verunfallt... Er frisst auch Früchte, ist flexibel im Nahrungsverhalten"

Der Wolf - also kein Menschenfresser? Woher kommen dann diese tief verwurzelten Ängste, die sich auch heute noch überall in der Literatur, in der Musik, im Kino finden? Wo haben sie ihren Ursprung?

Frei lebende Wölfe sind selten

Durch die Impfungen auch von Füchsen in den 1980er- und 90er-Jahren ist die Tollwut in Westeuropa heute ausgerottet. Und sogar wenn man von einem Tier gebissen würde - ob von Wolf oder Hund -, kann man noch nachträglich geimpft werden, um auf Nummer sicher zu gehen. Aber die Wahrscheinlichkeit, von einem wütenden Hund gebissen zu werden, ist in Westeuropa derzeit ungleich grösser. Denn frei lebende Wölfe sind sehr selten.

Wer Wölfe von Nahem sehen will, kann das im Wolfspark in Merzig tun. Dort leben 20 Tiere auf eineinhalb Hektar Gelände. Es sind Polarwölfe, Timberwölfe, mongolische Wölfe, schwedische und litauische Wölfe. Sie leben freier als in einem Zoo, aber dennoch nah am Menschen, werden mit der Flasche aufgezogen und im Gelände laufengelassen. Wer sie kennenlernen möchte, geht am besten mit der Leiterin des Parks durch den Park. Tatjana Schneider kennt jedes Tier von klein auf und hat schon mit dem Namensgeber des Parks zusammengearbeitet. Seiner Philosophie fühlt sich Tatjana Schneider verpflichtet.

Keine Artgenossen

Sowohl Parkgründer Werner Freund als auch seine Nachfolgerin Tatjana Schneider wollen vor allem eins: Die Wölfe kennenlernen und verstehen, damit sie den Menschen erklären können, wie die Tiere wirklich ticken. Neue Wölfe werden im Alter von zwei Wochen in den Park geholt, aufgezogen und im Park freigelassen. Durch die Aufzucht mit dem Fläschchen sind sie an den Menschen gewohnt, so dass Tatjana sie auch im Gehege beobachten kann, ohne zu stören. Andererseits wissen die Wölfe genau, dass Zweibeiner keine Artgenossen sind. Ganz nah zu den Tieren geht Tatjana am liebsten morgens, wenn es im Park noch ruhig ist.

Zutraulich kommen die Tiere zu Tatjana - nach angemessenem Zögern. Sie lassen sich sogar streicheln. Liebevoll spricht Tatjana zu ihnen, kennt die Eigenarten von jedem eenzelnen - der Schüchterne, der Fröhliche, die Leitwölfin, die taktisch klug agiert, und der Neugierige, der alles gerne von Nahem betrachtet. Wie war das eigentlich als Kind für die Leiterin des Wolfsparks, schauerliche Märchen über Wölfe zu hören?

"Ich wollte nur Aschenputtel... wenn es um Tiere ging, habe ich immer gesagt: Will ich nicht vorgelesen bekommen. Weil ich dachte, totaler Quatsch. Ich fand es nicht witzig, dass ein Tier so dargestellt wurde. So wie es gar nicht seine Art ist."

Können viel vom Wolf lernen

Die Art der Wölfe, das ist laut Tatjana Schneider ein grosser Familiensinn. Ein weiblecher und ein männlicher Wolf sind die Leittiere, und die managen ihre Herde wie Eltern ihre Familie:

"Wir Menschen können richtig viel lernen, vor allem, wenn es um Sozialverhalten geht. Sie sind wilde Beute-Greifer, aber im Familienverhältnis kompetent, Familie ist das A und O, auch für die Jagd garantéiert das das überleben."

Im Park jagen die Wölfe allerdings nur kleine Tiere wie Maulwürfe, Kaninchen, Ratten. Alles andere wird, schon erlegt oder gestorben, von Tatjana und ihrem Mitarbeiter ins Gehege geliefert - ob Rehe, Hühnchen, Ziegen oder anderes Fleisch. So haben die 20 Wölfe dort ein bequemes, ungefährliches Leben und müssen in ihrer Jugend nicht losziehen, um neue Partner und Reviere zu finden, wie Laurent Schley von der Naturverwaltung erklärt. Wölfe können sehe weit laufen, bis zu 2.000 Kilometer. Deshalb habe man eigentlich zwei verschiedene Bevölkerungen: Die Alpenbevölkerung, die seit 25 Jahren wieder in Frankreich sei, und die deutsch-polnische Bevölkerung. Beide seien nicht weit weg voneinander.

Wölfe durchstreifen Luxemburg

Und so kann es eben sein, dass auch in Luxemburg Wölfe auf ihrer langen Wanderung das Land durchstreifen. So wie die Tiere, die letztes Jahr in Garnich und im Februar dieses Jahres in Fouhren zwei Schafe gerissen haben. Wenn so etwas passiert, wird die Naturverwaltung aktiv. Sie muss mit Hilfe von DNA-Analysen und Fotos prüfen lassen, ob die gerissenen Tiere wirklich von einem Wolf getötet wurden und nicht etwa von einem Wildschwein oder entlaufenen Hund. Laurent Schley ist immer im Gespräch mit den Betroffenen. Die Leute hätten Ängste und Bauern würden sich Sorgen um ihre schafe machen. Dort müsse man reagieren und die Menschen informieren, meint er.

Die Diskussionen gibt es zum Beispiel nach Vorträgen. Dutzende hat Laurent Schley in Luxemburg schon gehalten, immer, wenn das Thema wieder aktuell wird. So wie demnächst, am 19. April in Brandenburg. Titel: "Die Rückkehr des Wolfs - Glückslos oder Katastrophe?" Der Titel ist bewusst polarisierend gewählt. Denn es gibt unreflektierte Wolf-Fans genauso wie strikte Gegner. Es gebe ein großes Interesse, sagt Laurent Schley. Er lege den Menschen ans Herz, ihre Vorurteile ganz abzulegen und den Wolf neu zu entdecken. Der Vortrag sei völlig neutral und zeige positive wie negative Seiten. Probleme werden angesprochen, und ein wissenschaftlicher Überblick wird präsentiert.

Fakten sprechen lassen

Dass der Wolf in ganzen Rudeln Luxemburg bevölkert, das wird wohl in absehbarer Zeit nicht passieren. Der Appell von Laurent Schley: Gelassen bleiben und die Fakten sprechen lassen:

"Es gibt Beispiele, wo Wölfe Schaden in Schafsherden anrichten, die Beispiele greift immer die Presse auf. Es wird nicht berichtet, wenn Wolf Wildtiere reisst - was er normalerweise macht. Wenn aber Schaf, dann Problem. Bauer muss entschädigt werden, wir haben Managementplan mit allen Akteuren, mit Jägern, landwirtschaftlichen Vertretern, gut gewappnet für den Fall. Aber normalerweise fällt er nicht auf. In Belgien ist ein Wolf mit Sender unterwegs, der ist in Deutschland besendert worden, und da noch nicht (negativ) aufgefallen. Man weiss bloss, dass er da ist, weil seine Position permanent erfaasst wird."