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/ Kann man Gedanken adäquat in Worte fassen?

Seismograph

Kann man Gedanken adäquat in Worte fassen?

Können wir sagen, was wir denken? Et kennt een d'Situatioun: et ass een amgaang ze diskutéieren, et wëllt een eppes soen, mee et feelen engem d'Wierder. Heiansdo kréie mir et net hin, ze soe wat mir denken. Wisou ass dat sou? A kënnen mir wierklech soen, wat mir denken? Doriwwer hunn ech mech mam Philosoph Lukas Held ënnerhalen.

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3 min

Man kennt die Situation: in eine rege Diskussion verwickelt, fehlen uns auf einmal die passenden Worte, um das auszudrücken, was man tatsächlich denkt. Manchmal finden wir einfach nicht die richtigen Worte, manchmal können wir uns unserem Gegenüber nicht mitteilen, manchmal ist sogar für uns selbst nicht klar benennbar, was wir gerade denken oder fühlen. Da stellt sich doch die Frage, ob wir wirklich auch das sagen können, was wir denken. Oder anders formuliert: Kann unsere Sprache unsere Gedanken adäquat übersetzen? Wenn wir die Frage so stellen, dann scheinen wir ja vorauszusetzen, dass die Sprache und das Denken zwei Paar Schuhe sind, dass die beiden unabhängig voneinander existieren. Aber dann stellt sich eine weitere Frage: können wir eigentlich denken, ohne zu sprechen?

Kann man denken, ohne zu sprechen?

Die spontane Antwort: nein. Denn weil wir unsere Gedanken immer auch in Worten artikulieren, kann man Denken und Sprechen nicht voneinander trennen. Wenn ich denke, dann spreche ich sozusagen mit mir selbst. Das bedeutet dann allerdings im Umkehrschluss, dass die Struktur meiner Sprache auch meinem Denken seine Struktur vorgibt. Es gibt anders gesagt keine "neutrale" Gedankensprache, sondern meine Gedanken sind durchdrungen von der Art und Weise, wie meine Sprache funktioniert. Diese Hypothese wurde von dem Linguisten Benjamin Whorf und dem Ethnologen Edward Sapir vertreten, weshalb man sie auch die Sapir-Whorf-Hypothese nennt. Es gibt z.B. Sprachen, die nicht der klassischen Subjekt-Prädikat-Objekt-Aufteilung folgen, woraus eine völlig andere Konzeption von z.B. Gesellschaft und der Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv entsteht. Es gibt Sprachen, die keine Temporaladverben wie vorher, nachher, jetzt kennen, was zur Folge hat, dass die Menschen, die diese Sprache von Geburt an sprechen, ein anderes Zeitverständnis haben, als wir. Die Art und Weise wie wir sprechen bedingt also unsere Sicht auf die Welt. Das nennt man auch linguistischen Relativismus.

Muss man Sprechen und Denken trennen?

Nun hat der Relativismus zwar seine Reize und durchaus auch seine Berechtigung, aber es ist fraglich, ob wirklich alles kulturell bedingt ist. Und die eingangs besprochen Situation gibt da eigentlich ein gutes Beispiel: Manchmal kann ich meine Gedanken eben nicht in Worte fassen, manchmal passt das, was ich sage oder schreibe, nicht zu dem, was ich denke. Das zeigt ja an, dass das, was ich sagen will und das, was ich sage, zwei verschiedene Dinge sind. Außerdem können wir ja auch neue Wörter erfinden, die besser ausdrücken, was wir sagen wollen. Wir können Übersetzungen von einer Sprache in die andere machen, weil wir die Idee verstehen, die einem Ausdruck zugrunde liegt. Also kurz gefasst: Ich bin vielleicht beeinflusst von meiner Sprache, aber ich kann diese Grenze durchaus überschreiten. So gesehen sind Denken und Sprechen nicht dasselbe. Ich kann eine Idee oder ein Gefühl haben, für das ich aber keine Worte finden.

Kann man sagen, was man denkt?

Kann man denn nun sagen, was man denkt? Ich glaube dass die Gedanken und Gefühle, damit man in ihnen weiterkommt, immer gesagt werden sollten. Man muss sie dafür nicht unbedingt laut sagen, aber man sollte versuchen, Begriffe für das zu finden, was man denkt. In anderen Worten: Auch wenn wir nicht immer sagen können, was wir denken, müssen wir es immer weiter versuchen, denn in diesem Prozess des Sich-Mitteilens verändern sich auch unsere Gedanken. Es ist gut, dass wir nicht immer mitteilen können, was wir denken, denn so verändern sich vielleicht, die Art und Weise, wie wir denken. Ich glaube aber auch, dass ein gewisser Reiz darin bestehen kann, zu versuchen, die eigenen Gedanken und Gefühle nicht unbedingt in Worte zu fassen, sondern sie einfach zu erleben. Das ist eine sehr schwere Aufgabe und es bedarf dazu großer Konzentration. Und glücklicherweise gibt es andere Sprachen, wie z.B. die Musik, die viel sagt, ohne in Worte zu fassen. So wird man vielleicht auch aufmerksamer für all das, was in einer Kommunikation eben nicht gesagt wird, für all die Andeutungen, für all die Umschreibungen, für die Leerstellen in unserer Kommunikation, die manchmal sehr viel mehr sagen, als es Worte je könnten.