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/ Schall und Rauch in der Cité judiciaire

Schlechte Beschallung

Schall und Rauch in der Cité judiciaire

Reporter berichten oft aus dem Gericht. So auch der Journalist Jochen Zenthöfer, der für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt. Dabei ist ihm die schlechte Beschallung aufgefallen. Die Zuschauer konnten oft nicht hören, was im Saal vor sich geht. Zenthöfer hat recherchiert und herausgefunden, dass sich das nun bald ändert.

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4 min

Jochen Zenthöfer

Zu den großen Errungenschaften des Rechtsstaates gehört, dass es keine Geheimjustiz mehr gibt. Wer will, kann jeden Tag zu den Gerichtsgebäuden in der Stadt gehen und dort als Zuschauer Gerichtsprozesse verfolgen. Ausnahmen gibt es nur in Einzelfällen. Besonders spannend sind natürlich Strafprozesse. Hier werden die kleinen und großen Delikte behandelt, die wir aus dem Code pénal kennen: Mord, Totschlag, Brandstiftung, Diebstahl, Betrug oder Beleidigung. Und manchmal werden noch größere Verfahren durchgeführt, etwa zum Geheimdienst SREL oder zur Bommeleeër Affär. All das ist öffentlich und manchmal spannender als ein Kinofilm.

Es gibt sogar oft Zuschauer in den luxemburgischen Strafprozessen. Meist sind es Journalisten. Sie berichten für Radio und Zeitungen über das, was alltäglich vor der sogenannten Dritten Gewalt - der Judikative - verhandelt wird. Das geht aber nur, wenn sie auch hören können, was dort besprochen wird. Im Großen Saal des Gerichtsgebäudes in der Stadt ist das nur möglich, wenn Mikrofone benutzt werden. Mikrofone sind gute Erfindungen, aber technisch hochkomplex. Es handelt sich bei ihnen um Schallwandler. Umgewandelt wird Luftschall in ein elektrisches Mikrofonsignal. Das ist nicht trivial und verlangt fortdauernde Forschungsleistungen. Beispielsweise beim mittelständischen Familienunternehmen Sennheiser in der Nähe von Hannover arbeiten Hunderte von Ingenieuren, um Mikrofone und Kopfhörer immer besser und moderner zu machen. Eine neue Erfindung ist "Audio 3 D". Ein solcher Klang ist deutlich besser als Stereo.

Neue Technik

Auf der Kunstmesse in Basel wurde neulich das Ambeo 3D-Soundsystem vorgestellt. Man konnte sich in einen abgedunkelten Showroom mit neun speziellen Lautsprechern setzen. Diese waren so angeordnet, dass man sich bei einer Klassikaufführung wirklich so vorkommt, als säße man inmitten des Orchesters. Die Geigen kommen von halb links, der Gesang von vorn, irgendwo bimmelt ­eine Triangel, und hinten in der Ecke kesselt die Pauke. ­Eine spezielle Abmix- und Abspieltechnik ­zerlegt die Aufnahmespuren in dieses volle Rundherumprofil. Ein beeindruckender Effekt, der bereits im großen Format in Vorzeigeclubs wie dem Berliner Berghain oder im Roxy in Paris als Demoversion getestet wurde.

Gerichtsverhandlungen müssen öffentlich und transparent sein

Doch das Berghain in Berlin oder das Roxy in Paris sind nicht die Cité judiciaire in Luxemburg. Hier ging es nämlich jahrelang ganz anders zu. Die vorhandenen Mikrofone im großen Saal des Gerichts wurden von den Beteiligten nicht genutzt. Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte sprachen also ohne Beschallung - und wurden auf den Zuschauerbänken oft gar nicht verstanden. Dass das gegen das Gesetz verstößt, ist klar. Denn Artikel 190 der luxemburgischen Strafprozessordnung lautet: "Les audiences sont publiques." Der Journalist Steve Remesch schrieb dazu im Luxemburger Wort am 11. November 2017.

"Gerichtsverhandlungen müssen also öffentlich und transparent sein. Das ist einer der Grundpfeiler einer modernen Demokratie."

"Echte Demokratiebarriere"

Weiter schrieb er, dass das mit erschreckender Regelmäßigkeit, gewährleistet ist. Es stelle sich die Frage, was es der Öffentlichkeit nutze, wenn Sie zwar in den Zuschauerrängen Platz nehmen darf, die Akustik im Saal es jedoch nicht erlaubt, zu verfolgen, wieso Strafverfolgungsbehörden welche Strafe gegen welchen Täter fordern.

Auch der Gerichtsreporter Pierre Welter machte auf das Problem aufmerksam, und zwar am 15. November 2017 im "Lëtzebuerger Journal". Er meinte, die schlechte Beschallung sei eine "echte Demokratiebarriere". Das Problem bestünde seit geraumer Zeit.

Welter beschreibt ein konkretes Beispiel: "So gelang es uns Reportern am Freitag selbst nur unter schwersten Voraussetzungen und nur mit äußerster Mühe, akustisch im großen Prozesssaal das Plädoyer der Anklagevertreterin wirklich zu durchdringen. Man konnte sich kaum auf das Plädoyer konzentrieren, weil man gar nichts mitbekam. Ein Kollege stellte sich mit seinem Notizblock in die Ecke, in der Hoffnung, doch noch was mitzubekommen. Doch auch das half nicht."

"Ein Gericht hat seine Verhandlungen transparent zu führen. Wenn nicht, dann büßt es seine Überzeugungskraft zwangsläufig ein. Hört niemand hin, weil die Mikrofone nicht funktionieren, versinkt ein Tribunal in der Bedeutungslosigkeit."

Sein Kollege Remesch schrieb im Luxemburger Wort, dass seit der Eröffnung der Cité judiciare Zusagen bestünden, dass das hinlänglich bekannte Problem aus der Welt geschaffen werde. Doch auch nach neun Jahren seien das immer noch nur "konkrete Pläne".

Auch die EU-Kommission hat die Zustände im Luxemburger Gerichtsgebäude eingehend geprüft, wie Isabelle Perignon von der Generaldirektion Justiz und Verbraucher Anfang Dezember schrieb. Sie betont aber, dass die tägliche Verwaltung der Justizsysteme aber in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Das sei in diesem Fall Luxemburg.

In Luxemburg tut sich etwas

In einem kleineren Verhandlungsraum, dem Saal 1.04, wurde nun erstmals eine Beschallungsanlage eingebaut. Und sie funktioniert einwandfrei.

Im großen Saal, dem Saal 1.10., wird demnächst eine neue Beschallungsanlage eingebaut. Das neue Modell wird von der Firma Bosch geliefert und wird mit Lautsprechern der Marke Bose verstärkt. Bâtiments public teilt mit, dass die Anlage 2018 definitiv eingebaut wird. Die bestehende Anlage entspreche nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik. Zudem werde nun die Anzahl der Lautsprecher erhöht, um eine optimale Beschallung des Saales zu gewährleisten. Außerdem würde die neue Anlage einfacher zu bedienen sein.

Bleibt zu hoffen, dass damit dann alle Beschallungsprobleme gelöst sind und die Geheimjustiz in Luxemburg ein Ende hat. Letztendlich ist es den Gerichtsreportern vom Luxemburger Wort und vom Lëtzebuerger Journal zu verdanken, dass die Öffentlichkeit bei den Gerichten wieder etwas verstehen kann.


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