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/ Wären wir glücklicher, wenn wir weniger wüssten?

Seismograph

Wären wir glücklicher, wenn wir weniger wüssten?

Ignorance is bliss - seet den Englänner, an mengt domat, dat een méi glécklech ass, wat ee manner weess. An tatsächlech: wie vun eis huet sech net schonn eng Kéier gesot, datt ee méi glécklech war, wou een nach manner Wëssen iwwer d'Welt an de Misär an der Welt hat? Mee ass dat wierklech sou? Ass eist Wëssen den Ursprong vun eisem Ongléck?

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4 min

Foto: Unsplash / Catalin Pop

Paradise: lost

Man stelle sich einmal folgendes vor: Ein großer, wunderschöner, üppiger Garten, in dem man sich frei bewegen kann, voller Tiere, die dort in Harmonie miteinander leben. Das Paradies auf Erden. Man muss sich nicht sorgen, denn dort gibt es Bäume, voller Früchte, eine köstlicher als die andere, von denen man frei pflücken und sich sattessen kann. Nur von einem Baum nicht, dem größten Baum im Garten, von diesem darf man nicht kosten. Das sind die Spielregeln. Wer einigermaßen bibelfest ist, kennt die Geschichte und ihr Ende. Adam und Eva, die ersten Menschen, brechen das Verbot, probieren von den Früchten dieses Baums - und werden sich bewusst, dass sie nackt sind. Sie bekleiden ihre Scham verstecken sich vor Gott, der ihre Sünde erkennt und sie für immer aus dem Garten Eden verbannt. Ein wesentliches Detail habe ich noch nicht erwähnt. Beim besagten Baum handelte es sich nicht um irgendeinen Baum, sondern um den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, wie es im Buch Genesis heißt. Das ist nun interessant. Der Bibel zufolge liegt der Ursprung des Leids der Menschheit also in der Erkenntnis, in der Fähigkeit, Gut von Böse zu unterscheiden. Das Leid der Menschen liegt in ihrem Wissen begründet. Da fragt man sich im Umkehrschluss: Wären wir also glücklicher, wenn wir unwissend wären? Ist unser Verstand schuld an unserem Unglück?

Flowers for Algernon

Diese Frage behandelt der Roman "Flowers for Algernon" von Daniel Keyes. Darin geht es um den geistig Behinderten Charlie Gordon. Charlie nimmt an einem wissenschaftlichen Experiments teil, in dem es darum gehen soll, seinen IQ drastisch zu erhöhen. Charlie ist auf einmal extrem intelligent, spricht mehrere Sprachen und brilliert in akademischen Kreisen. Aber je weiter sein geistiger Horizont wird, desto trauriger wird Charlie. Traumatische Kindheitserinnerungen bahnen sich ihren Weg, vermeintliche Freundlichkeit entpuppt sich als Spott und Häme und Beziehungen werden auf einmal komplizierter und unhaltbarer. Sein einfaches aber glückliches Leben ist nun vorbei, an dessen Stelle ist nämlich das Wissen getreten. War Charlies Leben also besser vor der Operation, oder wiegt sein Wissen das Unglück auf?

Wir können diese Frage auf uns selbst anwenden. Stellen Sie sich vor, Sie könnten jetzt in eine Maschine steigen, die Ihren Wissensstand drastisch reduziert, dafür aber Ihr Glücksgefühl steigert. Sie würden nicht sonderlich viel von der Komplexität der Welt verstehen, Sie wären eben deshalb aber sorgenfreier und glücklicher. Würden Sie in diese Maschine steigen?

Von glücklichen Schweinen

Der englische Philosoph John Stuart Mill, einer der Hauptvertreter des Utilitarismus, hätte eine klare Antwort auf diese Frage: Nein! Denn - so schreibt Mill - "es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufrieden gestelltes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr". Aber warum eigentlich? Warum ist der Mensch glücklicher, als das Schwein? Für Mill hat es damit zu tun, dass der Mensch die beiden Seiten der Medaille kennt: er kennt die schweinischen Freuden, aber auch die menschlichen, d.h. die geistigen Freuden und weiß, dass diese Freuden eine höhere Qualität haben. Geistige Freuden füllen uns mehr aus, als es die niederen Schweinefreuden je könnten - egal wie lange sie andauern. Die Fähigkeit ein Instrument zu spielen z.B., ist mit Ausdauer, Zeitaufwand und Mühen verbunden. Aber die Freuden, die wir daraus ziehen, sind qualitativ hochwertig und deshalb langlebig. So gesehen ist das menschliche Leben ein Auf und Ab von Schmerz und Glücksmomenten - und die Hochs legitimieren die Tiefs.

Glück bedarf des Strebens

An Mills Unterscheidung wird deutlich, dass das menschliche Glück eine äußerst komplexe Angelegenheit. Selbst wenn wir einen dauerhaften Zustand des Glücks erreichen könnten, wollen wir den Deal nicht eingehen. Das ist insofern paradox, als wir Menschen ja bekanntlich nach nichts so sehr streben, wie nach dem Glück. Aber eben nicht nach irgendeinem niederen, tierischen Dauerzustands-Glück - und davon abgesehen auch nicht nach einem künstliche erzeugten Glück. Wer würden Sie sich schließlich dazu bereit erklären, sich Glückshormone ins Hirn injizieren zu lassen, um einen permanenten Zustand von Wohligkeit zu erreichen? Wir verachten doch die Paradis artificiels der Drogensüchtigen eben deshalb, weil sie ihnen nur ein illusorisches Glück bieten. Nein, menschliches Glück - so scheint es zumindest - bedarf der Herausforderung, des Kontakts mit der wirklichen Welt, der Authentizität und der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Anders gesagt: Zum Glück bedarf es der Möglichkeit des Scheiterns. Um glücklich zu sein müssen wir wissen, dass wir eben diesem Scheitern entkommen sind, dass wir etwas erreicht haben. Das bedeutet wiederum, dass das Glück eben kein dauerhafter Zustand ist, sondern im ständigen Streben begründet liegt. Wonach wir streben, ist dann wieder eine andere Sache. Fest steht: menschliches Glück bedarf der Aktivität. Dann aber kann man die Paradies-Story aus der Bibel auch etwas anders lesen. Ich glaube nämlich, dass Gott die Menschen nur aus dem Paradies vertrieben hat, um sein Gesicht zu wahren. Gott wusste nämlich ganz genau, dass Adam und Eva den Garten Eden irgendwann selbst verlassen hätten - und zwar vor lauter Langeweile. Denn glücklich wären die Menschen im Paradies wohl nicht geworden.