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Seismograph

Sitzen - Liegen - Gehen

In welcher Position lässt es sich eigentlich am besten denken? Im Sitzen? Im Liegen? Stehend? Gehend? Vielleicht sogar beim Laufen oder Radfahren? Es ist natürlich eine banale Frage, aber es ist dennoch witzig und interessant, das einmal kurz zu verfolgen und zu sehen, welche Schulen es da gibt.

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3 min

Gehen

Man hat mir immer beigebracht, dass es zumindest einen Philosophen gab, der leidenschaftlich spaziert ist - so leidenschaftlich, dass es sich auf den Namen seiner Anhänger abgefärbt hat.

Die Rede ist von Aristoteles und den sogenannten Peripatetikern. Das griechische peripatein bedeutet soviel wie "umherwandeln" und der Legende nach philosophierten Aristoteles und seine Schüler im Gehen. Es ist eine Legende, denn man kann das Wort auf vom peripaton her ableiten, das war eine Art Säulenhalle, in der Aristoteles seine Kurse abhielt.

Wie dem auch sei: ich kann mir ganz gut vorstellen, dass Aristoteles nicht der einzige war, der damals im Gehen philosophierte - schließlich ist es in Griechenland warum und die Häuser sind luftig.

Tatsächlich findet sich aber kein Hinweis darauf, dass Sokrates oder Platon im Gehen philosophiert hätten. Im Gegenteil: einer der berühmtesten Dialoge Platons ist das Symposion. In diesem Text, wie der Name es schon andeutet, die Rede von einem Fest, bei dem alle Beteiligten auf Bänken liegen (ein Bankett eben), sich dabei immer mehr betrinken, schöne Musik und Gedichte hören und vor allem philosophieren.

Ich glaube diese Anekdote vom gehenden Philosophen hatte soviel Erfolg, weil sie ja auch etwas über das jeweilige Denken aussagt. Wenn man im Gehen miteinander spricht, dann hält man keinen Augenkontakt, sondern man blickt zusammen nach vorne, in die Natur hinein. Wenn man sich aber hinsetzt um miteinander zu sprechen, dann ist es leichter, dem Gegenüber in die Augen zu sehen.

Das spiegelt sich bei den beiden Philosophen wider: Sokrates und Platon entwickeln ihre Philosophie im Dialog mit anderen, während es Aristoteles vielmehr um die Betrachtung und Erforschung der Natur geht. Es gibt übrigens viele leidenschaftliche Spaziergänger unter den Philosophen.

Rousseau ist bekanntlich der Autor der Rêveries du promeneur solitaire, Hegel ging gerne wandern und Kierkegaard flanierte stundenlang durch Kopenhagen. Immanuel Kant machte bekanntlich jeden Tag einen exakt getimten Spaziergang, nach der die Königsberger damals ihre Uhr richten konnte. Und der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau hat sogar eine Art Philosophie des Gehens geschrieben, mit dem Titel "Walking".

Liegen

Und was ist nun mit dem Liegen? Denkt es sich vielleicht besser oder anders im Liegen? In der Psychoanalyse wird tatsächlich liegend gedacht. Oder besser gesagt: der Patient liegt und spricht, während der Analytiker sitzt und notiert.

Es ist in diesem Setting nicht immer ganz klar, wer die meiste Arbeit verrichtet: derjenige, der auf der sanften Couch liegt, oder der, der sitzend versucht, eine Struktur in diesen Gedanken zu finden.

Aber der fehlende Blickkontakt zwischen Patient und Analytiker ermöglicht der Theorie zufolge einen besseren Zugang zum Unterbewusstsein. Anstatt auf den Blick des anderen zu reagieren, anstatt auf äußere Reize zu reagieren, ist man hier mit sich selbst beschäftigt und dringt zu sich selbst vor.

Sitzen

Beim Sitzen denke ich an Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Raymond Aron und Merleau-Ponty, die sich im berühmten Café de Flore in Paris trafen, um sich dort während der Kriegsjahre aufzuwärmen, vor Bomben zu schützen - und um dort zu philosophieren.

Im 20. Jahrhundert ersetzt das Café den Marktplatz. Im Café trifft man sich geplant oder spontan, man setzt sich vielleicht zu Bekannten hinzu, man ist einerseits unter sich und andererseits dennoch an einem neutralen Ort, an einem offenen Ort, wo man deshalb auch ins Gespräch mit fremden Menschen kommen kann. Wenn man zusammen irgendwo sitzt, findet wortwörtlich ein Gespräch auf Augenhöhe statt.

Man lässt sich vom anderen beeindrucken, vielleicht überreden, oder man ist überhaupt nicht einverstanden - jedenfalls konfrontiert man sich mit dem Anderen. Das ist wieder eine andere Form des Denkens. Man könnte sagen: es denkt sich anders im Liegen, als im Sitzen oder im Gehen.