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/ E Konflikt, dee séier eskaléiert ass

Protester an Nicaragua

E Konflikt, dee séier eskaléiert ass

Zanter Abrëll si Protester an Demonstratiounen an Nicaragua, déi sech géint de President Daniel Ortega riichten. Uganks gouf géint Reforme protestéiert, déi zu méi héije Steiere gefouert hunn, mee d'Situatioun ass séier eskaléiert. Innerhalb vu fënnef Deeg si knapp 30 Leit gestuerwen. E Gespréich mat der ZEIT-Journalistin Laura Cwiertnia, déi selwer an Nicaragua war, wéi d'Protester ugefaangen hunn, an d'Land gutt kennt.

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5 min

Frau Cwiertnia, Sie haben selbst in Nicaragua gelebt und kennen das Land gut. Wie ist die aktuelle Situation in Nicaragua denn eigentlich zustande gekommen?

In Nicaragua herrscht seit etwa Ende April, also seit zwei Monaten, Ausnahmezustand. Es hat angefangen mit kleineren Protesten verschiedener Menschen, zum Beispiel gegen einen Brand im Naturschutzgebiet, der nicht gelöscht worden ist, oder gegen eine Rentenreform.

Diese Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen von der Regierung und regierungsnahen Truppen. Das hat am Ende dazu geführt, dass das Land heute in einem Ausnahmezustand steht. Sehr viele Menschen sind gestorben, mehr als 180 inzwischen.

Welche unterschiedlichen Lager gibt es im Konflikt? Wer kämpft gegen wen?

Das ist eine gute Frage, weil es herrscht ja vor allem ein Kampf der Wahrheit in Nicaragua. Die Regierung spricht immer von rechten Vandalen und einer internationalen Verschwörung von der CIA oder rechten Gruppen. Die Demonstranten auf der anderen Seite sagen, dass die Gewalt nur von Seiten der Regierung ausgeht.

Internationale Menschenrechtsorganisationen sagen allerdings, dass die Gewalt und die Repression eindeutig von der Regierung ausgehen. Ansonsten ist es so, dass es in Nicaragua keine große Opposition gibt, die die Proteste unterstützten könnte. Aber gibt es natürlich auch einzelne Leute, die Interesse haben, die vielleicht auch Geld haben, um da an manchen Stellen noch etwas anzuheizen, und die vielleicht auch Interesse hätten, die Regierung zu stürzen. Aber jetzt, in diesem absoluten Ausnahmezustand ist es sehr schwer zu überschauen, wer da eigentlich gerade was genau tut.

Wie konnte dieser Konflikt denn so schnell eskalieren? Die Ereignisse überstürzen sich ja geradezu.

Ich habe vor zehn Jahren länger in Nicaragua gelebt, war seitdem immer wieder mit dem Land in Kontakt und war dort zu Besuch. Natürlich war Unmut zu spüren, die Leute waren nicht zufrieden mit der Regierung.

Die Regierung hatte aber auch viele Unterstützer. Dass so etwas passiert, damit hätte jetzt niemand gerechnet. Und vor allem nicht in dem Ausmaß. Innerhalb von einem Tag haben schon Häuser gebrannt.

Relativ schnell, nach fünf Tagen, war klar, dass fast 50 Menschen getötet worden sind, ein Journalist wurde erschossen.

Sie waren selbst vor Ort, wie haben Sie den Konflikt erlebt?

Ich war Anfang April bis Anfang Mai in Nicaragua zu Besuch bei alten Freunden und das ist genau in die Zeit gefallen, in der die Proteste angefangen haben. Erlebt habe ich das Ganze auch relativ überraschend. Ich weiß noch, dass ich an einem Nachmittag im Zentrum von León, einer kleinen Stadt an der Pazifikküste, im Stadtzentrum war, mit einem Freund gesprochen habe, und da hat er mir von den Protesten erzählt, die niedergeschlagen worden sind. Er hat mir erzählt, dass die Polizei einen älteren Mann verprügelt habe, und alle seien wahnsinnig wütend.

Ich habe bei meiner Gastfamilie in einem Stadtteil gewohnt, der etwas außerhalb liegt. Schon am nächsten Tag haben wir im Fernsehen gesehen, wie im Zentrum Häuser brannten. Am darauffolgenden Tag war es kaum möglich, sich tagsüber sicher irgendwo zu bewegen. Die Proteste haben damals nachmittags angefangen, und nachts ist immer die Gewalt komplett eskaliert. Menschen wurden verfolgt, erschossen, und selbstgebaute Bomben waren zu hören. Es war deutlich spürbar, auch für jemanden, der dort nicht aktiv unterwegs war.

Wie hat denn die Bevölkerung auf die Proteste reagiert?

Die Bevölkerung, das fand ich sehr spannend, hat relativ positiv auf die Proteste reagiert, obwohl es in den letzten Jahren nicht so gewirkt hat, als würden sie so etwas wollen. Ich bin Journalistin und habe dann angefangen zu recherchieren so gut es ging. Ich habe dann mit allen möglichen Menschen gesprochen, vom Taxifahrer über die Händlerin auf dem Markt bis zu Wissenschaftlern oder anderen Intellektuellen. Die meisten Leute haben gesagt "das ist jetzt richtig so".

Die Regierung hat am Anfang einen Rentner zusammengeschlagen und relativ kurz danach ist ein 22-jähriger Student gestorben. Ich glaube, diese beiden Dinge haben dazu geführt, dass viele Menschen sehr wütend geworden sind.

Wie wird von aussen auf die Krise reagiert? Welche internationalen Reaktionen gibt es? Es wird ja recht wenig davon geschrieben.

Das ist eine Frage, die mich auch sehr beschäftigt. Als ich aus Nicaragua nach Deutschland zurückgekommen bin habe ich festgestellt, dass sehr wenig über das Thema geschrieben worden ist, weder in Europa noch in Deutschland, das eine sehr enge Beziehung mit Nicaragua hat. Auch politisch hat man hier sehr wenig gehört, gerade von der Linken, die sich jetzt eigentlich traditionell für Nicaragua interessiert, gerade dadurch, dass der Präsident ein alter linker Revolutionär war, der sich jetzt aber in einen autoritären Machthaber verwandelt hat.

Ich habe mich in letzter Zeit öfter mit Politikern unterhalten und viele sagten im Hintergrundgespräch, dass der Konflikt teilweise sehr schwer zu durchschauen ist. Ein anderer Faktor ist, dass gerade sehr viel in der Welt passiert. Aber die positive Nachricht ist, dass jetzt langsam mehr Aufmerksamkeit für die Situation entsteht. Zum Beispiel in Spanien sieht man, dass es immer mehr diskutiert wird, gerade in der Zeitung El País. Es gibt aber auch EU-Politiker, die die Situation sehr kritisch sehen.

Welche Lösung ist in Sicht? Was schätzen sie, wie der Konflikt weitergehen wird?

Das ist etwas, das man nicht so leicht einschätzen kann. Ich glaube, dass wir gerade an einem sehr kritischen Punkt angelangt sind. Bei solchen Figuren wie der Präsident Daniel Ortega, der massiv an Akzeptanz verloren hat, wäre es ja jetzt eigentlich der Moment zu gehen.

Gleichzeitig ist das für solche Leute schwer, wenn sie nicht in Würde gehen können. Der hat sich die letzten Jahre ein Image aufgebaut, das ihm gut gefallen hat: der Revolutionär, der das Land reformiert. Außerdem müsste er seine Geschäfte in Sicherheit bringen, denn er ist ja heute ein Multimillionär, der selber sehr viele Unternehmen besitzt. Sein Ansehen und sein Geld zu bewahren, ist sehr schwer möglich. Darum bin ich mir nicht sicher, ob es nicht doch in einen Bürgerkrieg umschlagen könnte.

Es gibt immer mehr Stimmen von Demonstranten, die anfangs nur friedlich demonstrieren wollten, jetzt Waffen fordern. Neben diesen beiden Szenarien ist vieles vorstellbar, was passieren kann. Von einem Militärputsch bis hin zu einem langsamen Übergang zu einer Demokratisierung.